Kartellamt erzielt mehr Rechte für Amazon-Händler - Brüssel ermittelt Von Wolf von Dewitz, Alkimos Sartoros und Andrej Sokolow, dpa

17.07.2019 16:52

Nutzt Amazon Daten von Händlern auf seiner Plattform, um sie zu
benachteiligen? Die EU-Wettbewerbshüter gehen der Sache auf den
Grund. In Deutschland erzielten die Kartellwächter unter anderem
weltweit bessere Konditionen für die Händler.

Bonn/Brüssel (dpa) - Das Bundeskartellamt hat bei Amazon mehr Rechte
für Händler auf der Plattform durchgesetzt, aber der Verdacht
unfairen Wettbewerbs ist für den US-Riesen damit nicht vom Tisch: Die
EU-Kommission leitete eigene Ermittlungen ein. Die Brüsseler
Kartellwächter wollen unter anderem prüfen, ob der Konzern Daten der
Händler nutzt, um lukrative Geschäftsbereiche zu erkennen und dann
die kleineren Konkurrenten mit eigenen Angeboten auszubooten.
Die Kommission betonte, dass ihre Zweifel nicht durch die vom
deutschen Kartellamt erzielten Zugeständnisse ausgeräumt werden.

Das Bundeskartellamt stellte im Gegenzug zu umfangreichen Änderungen
der Geschäftsbedingungen sein Missbrauchsverfahren gegen Amazon ein,
wie Deutschlands oberste Wettbewerbshüter am Mittwoch mitteilten. Das
Verfahren war im November 2018 eingeleitet worden, nachdem sich
zahlreiche Händler beschwert hatten. Sie bemängelten Haftungsregeln,
die zu ihren Lasten gingen, intransparente Kündigungen und Sperrungen
von Konten sowie einbehaltene oder verzögerte Zahlungen.

Für den Privatkunden ändert sich dadurch nichts, die global gültigen

Änderungen betreffen nur das Binnenverhältnis zwischen Amazon und den
sogenannten Dritthändlern.

Amazon spielt eine Doppelrolle. Zum einen verkauft das Unternehmen
selbst als Einzelhändler Produkte auf seiner Internetseite. Zum
anderen stellt es einen Online-Marktplatz zur Verfügung, über den
andere Händler ihre Waren direkt an Kunden verkaufen können.

Diese Plattform für Waren von Drittanbietern ist für den US-Konzern
immens wichtig. Nach Firmenangaben stammen 58 Prozent des weltweit
über Amazon erwirtschafteten Bruttowarenumsatzes von diesen
Verkäufern. Amazon kommt den Händlern nun deutlich entgegen und
ändert die bisher als einseitig kritisierten Regeln. So wurden zum
Beispiel Vorgaben zur Haftung bei kaputten Produkten umformuliert,
die bisher zulasten der Händler gingen - künftig sind sie
ausbalancierter.

Zudem wurde das Kündigungsrecht modifiziert. Bisher hatte Amazon nach
Angaben des Kartellamts ein unbeschränktes Recht zur sofortigen
Kündigung und der sofortigen Sperrung von Konten der Händler - Gründe

musste der US-Konzern hierbei nicht angeben. Künftig gilt bei
ordentlichen Kündigungen eine 30-Tage-Frist. Bei außerordentlichen
Kündigungen und Sperrungen muss Amazon die Händler nun informieren
und dies begründen.

Positiv für die Verkäufer sind zudem Änderungen beim «Gerichtsstand
»
- wollte ein Händler gegen Amazon vor Gericht ziehen, musste er nach
Luxemburg. Für manchen Mittelständler dürfte das Ausland eine
Hemmschwelle gewesen sein. Künftig können unter bestimmten
Voraussetzungen auch deutsche Gerichte zuständig sein.

Die Geheimhaltungspflicht wurde ebenfalls geändert. Bisher durfte
sich ein Händler nur über eine Geschäftsbeziehung mit Amazon äuße
rn,
wenn ihm das US-Unternehmen das vorher erlaubt hatte. Diese Klausel
wird den Angaben zufolge «weitgehend reduziert».

Kartellamtschef Andreas Mundt zeigte sich zufrieden. «Für die auf den
Amazon Marktplätzen tätigen Händler haben wir mit unserem Verfahren
weltweit weitreichende Verbesserungen erwirkt», sagte er. Die
Änderungen werden zum 16. August wirksam. «Es waren überaus
konstruktive Gespräche mit dem Bundeskartellamt und wir begrüßen es,

eine Einigung gefunden zu haben», erklärte Amazon.

Unter Kartellrechtlern wurde das Vorgehen von Deutschlands obersten
Wettbewerbshütern gelobt. «Die «Friss-oder-Stirb»-Geschäftspoliti
k
der Super-Plattformen gegenüber Händlern und Nutzern wird damit ein
Stück weit zurückgedrängt», sagte Rupprecht Podszun, Direktor des
Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf.

Die EU-Kommission betonte, Amazon erhebe laufend Daten über Händler
auf der Plattform, ihre Produkte und das Kundenverhalten. Konkret
wollen sie nun der Frage nachgehen, ob und wie die Nutzung dieser
Daten den Wettbewerb einschränkt und ob Amazon sie nutzt, um Händler
in lukrativen Geschäftsbereichen zu verdrängen. Dazu will die
Brüsseler Behörde unter anderem die Standardvereinbarungen zwischen
Amazon und den anderen Marktplatzhändlern prüfen.

In den Fokus will die EU-Kommission auch die sogenannte «Buy Box»
nehmen. Mit diesem Kauf-Button können Kunden Produkte von
Drittanbietern direkt in ihren Amazon-Einkaufswagen befördern. Diese
«Buy Box» zu erhalten, sei für die Händler entscheidend, da ein
Großteil der Einkäufe über sie getätigt würden, erklärten die
Wettbewerbshüter weiter. Händler müssen in der Regel aber eine Reihe

von Voraussetzungen erfüllen, bevor sie diesen Einkaufswagen-Link
bekommen. Die Rolle von Daten bei diesem Vergabeverfahren werde
ebenfalls untersucht, hieß es.

Amazon zeigte sich kooperationsbereit. «Wir werden vollumfänglich mit
der Europäischen Kommission kooperieren und weiterhin daran arbeiten,
Unternehmen jeder Größe in ihrem Wachstum zu unterstützen», sagte e
in
Firmensprecher.