Dann gratulieren sie halt: Die SPD und das Von-der-Leyen-Dilemma Von Theresa Münch und Teresa Dapp, dpa

17.07.2019 17:12

Ursula von der Leyen ist zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt.
Und die SPD, die das nicht wollte? Schickt pflichtschuldig
Glückwünsche. Bis Gras über die Sache wächst, dürfte es noch ein

wenig dauern.

Straßburg/Berlin (dpa) - In der Politik gilt wie im Leben allgemein:
Wer sich vorschnell in eine Ecke manövriert, kommt da oft schwer
wieder raus - und schon gar nicht, ohne Spott zu ernten. Die SPD und
ihre Haltung bei der Wahl Ursula von der Leyens zur
EU-Kommissionspräsidentin bieten dafür gerade ein Paradebeispiel.
Kaum war die CDU-Politikerin Anfang Juli nominiert, sprangen die
deutschen Sozialdemokraten in die Ecke der Nein-Sager. Und konnten
eigentlich nur noch verlieren.

Schnell war klar: Entweder würde von der Leyen bei der Wahl
durchfallen - und man würde der SPD die Schuld geben, dass nun keine
Deutsche und keine Frau an der Spitze der Kommission steht. Oder sie
würde gewinnen und die 16 SPD-ler im Europäischen Parlament stünden
ziemlich alleine da. Fall zwei ist nun eingetreten.

Der einzige Weg, halbwegs das Gesicht zu wahren: Nicht schmollen,
Größe zeigen, gratulieren. So wie Neu-Parlamentarierin und
Ex-Justizministerin Katarina Barley, die von der Leyen «eine
glückliche Hand» wünschte, um gleich darauf zu betonen: «Wir waren

nicht einer Meinung auf dem Weg hierher. Aber für ein friedliches,
freies, nachhaltiges, soziales und gerechtes Europa hast du meine
Unterstützung.»

Das kommissarische SPD-Führungstrio Malu Dreyer, Thorsten
Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig kündigte an, die SPD werde von
der Leyen «nach Kräften unterstützen». Vizekanzler und Finanzminist
er
Olaf Scholz, zugleich stellvertretender SPD-Vorsitzender, gratulierte
als einer der ersten.

Jetzt also nach vorne schauen, als wäre nichts gewesen? Das lässt
schon der Koalitionspartner im Bund nicht zu. CDU-Chefin Annegret
Kramp-Karrenbauer kündigte kurz nach der Wahl in Straßburg in den
ARD-«Tagesthemen» an, die Sache werde ein Nachspiel haben. Auch
andere Unionspolitiker zeigten sich demonstrativ verstimmt.

Für Kritik hatten die Sozialdemokraten zuletzt reichlich
Angriffsfläche geboten. Barley schimpfte, von der Leyen sei bei der
Europawahl nicht Spitzenkandidatin gewesen und außerhalb Deutschlands
kenne sie «kein Mensch». Nur: Manfred Weber und Frans Timmermans,
Spitzenkandidaten der Konservativen und Sozialdemokraten, hatten nun
mal keine Chance. Und Umfragen zeigten, dass es um ihre Bekanntheit
in Deutschland und Europa auch nicht gerade rosig bestellt war.

Ebenfalls nicht so hilfreich: Ex-Parteichef Sigmar Gabriel, der über
«Wahlbetrug» schimpfte und die Geschichte sogar als Grund sah, die
Koalition zu verlassen. Damit war die SPD in der Nein-Ecke - und
konnte sie nicht mehr so einfach verlassen.

Auch nicht, als deutlich wurde, dass die deutschen SPD-Abgeordneten
selbst unter den Sozialdemokraten in Brüssel in der Minderheit waren.
Man hatte damit gerechnet, dass das Prinzip der Spitzenkandidaten
auch anderen europäischen Ländern wichtig sei - doch als es verletzt
wurde, gab es außer in Deutschland und den Benelux-Staaten kaum echte
Empörung.

Dass Gabriel dann der «Bild am Sonntag» sagte, von der Leyen könne
eine gute Kommissionspräsidentin werden, und Bundestags-Vizepräsident
Thomas Oppermann (SPD) nach anfänglicher Kritik kurz vor der Wahl
doch dazu aufrief, für die Christdemokratin zu stimmen, vergrößerte
die Fragezeichen eher. Ja was denn nun?

So oder so: Jetzt ist von der Leyen an die Spitze der EU-Kommission
gewählt. Nach den Versprechen aus ihrer Bewerbungsrede am Dienstag
hoffen die Sozialdemokraten, dass die neue Kommissionspräsidentin
Wort hält und einige Dinge durchsetzt, bei denen die deutsche CDU
bisher auf der Bremse stand. «Also, da gibt es gute Anknüpfungspunkte
für eine gute Zusammenarbeit», sagte Vizekanzler Scholz. Vergeben und
vergessen aber sei die Sache noch lange nicht. Wie die Bürger über
die Regierung der EU mitentscheiden könnten, das «darf jetzt auch
nicht von der Tagesordnung verschwinden».

Außerdem, heißt es, könnten die Personalrochaden am Ende sogar die
große Koalition in Berlin stabilisieren. Dass Merkel ausgerechnet
ihre Wunsch-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer als Nachfolgerin
von der Leyens im Kabinett installiert hat, wird bei den
Sozialdemokraten als Zeichen dafür gewertet, dass Schwarz-Rot bis zum
Ende der Legislaturperiode halten könnte. Bei Umfragewerten von 13
bis 15 Prozent dürfte das vielen in der SPD ganz recht sein.