Rechtsstaat: Leyen warnt vor unfairem Umgang mit östlichen EU-Staaten

18.07.2019 18:37

Bei ihrer Wahl zur Kommissionschefin hat Ursula von der Leyen auch
Stimmen von der rechtsnationalen polnischen PiS bekommen. Nun
beobachten ihre Kritiker mit Argusaugen, ob sie im Streit um EU-Werte
Milde walten lässt.

Brüssel (dpa) - Im Streit über Rechtsstaatlichkeit und Grundwerte der
Europäischen Union hat die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von

der Leyen den Umgang mit den östlichen EU-Staaten kritisiert. «Es ist
mir wichtig, die Debatten zu versachlichen», sagte sie der
«Süddeutschen Zeitung» (Freitag). Der deutsche Europastaatsminister
Michael Roth (SPD) mahnte von der Leyen, konsequent auf
Rechtsstaatlichkeit zu achten. Gleichzeitig prangerte Roth erneut
Gefahren für die unabhängige Justiz in Polen an.

Von der Leyen hatte vor ihrer Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin am
Dienstag die Sicherung der Rechtsstaatlichkeit zur Priorität erklärt.
Doch dann verhalf ihr die polnische Regierungspartei PiS nach eigenen
Angaben zu ihrer knappen Mehrheit im EU-Parlament. Deshalb wird
spekuliert, von der Leyen könnte nachgiebiger sein als die jetzige
EU-Kommission, die gegen Polen wegen des Umbaus der Justiz vorgeht.

Von der Leyen sagte der «SZ»: «In den mittel- und osteuropäischen
Ländern herrscht bei vielen das Gefühl, nicht voll akzeptiert zu
sein. Wenn wir die Debatten so scharf führen, wie wir sie führen,
trägt das auch dazu bei, dass Länder und Völker glauben, sie
seien im Ganzen gemeint, wenn einzelne Defizite kritisiert werden.»
Sie fügte hinzu: «Wir alle müssen lernen, dass volle
Rechtsstaatlichkeit immer unser Ziel ist, aber keiner ist perfekt.»
Finanzielle Sanktionen kämen nur als das «allerallerletzte
Mittel nach vielen Stufen, die vorher kommen» infrage.

Die jetzige EU-Kommission hatte nicht nur ein Strafverfahren nach
Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen gestartet - dieses gilt als die
schärfste Waffe bei Verstößen gegen EU-Grundwerte und kann
theoretisch zum Entzug von Stimmrechten im Rat der EU-Länder führen.
Die Brüsseler Behörde hatte zudem vorgeschlagen, die Auszahlung von
EU-Geldern künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatsstandards zu
koppeln. Deutschland unterstützt dies nach Roths Worten. Auch
Finnland, das derzeit den Vorsitz der EU-Länder führt, ist das
besonders wichtig, wie Europaministerin Tytti Tuppurainen sagte.

Bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen äußerte Roth nochmals große

Besorgnis über die Lage in Polen. Auf die Bedenken, die 2017 zu dem
Artikel-7-Verfahren geführt hatten, sei Polen nicht vollständig und
angemessen eingegangen, sagte Roth nach Angaben von Diplomaten im
Namen von Deutschland und Frankreich. Das Verfahren solle fortgesetzt
und so bald wie möglich eine neue Anhörung Polens geplant werden.

Auch EU-Kommissionsvize Frans Timmermans sagte, es gebe aus den
vergangenen Monaten wenig Gutes zum Streit mit Polen zu berichten.
Erst am Mittwoch hatte die EU-Kommission ein weiteres
Vertragsverletzungsverfahren wegen eines neuen polnischen Gesetzes
zur Disziplinierung polnischer Richter vorangetrieben. Auch diese
neue Regelung könnte ein Problem für die Unabhängigkeit von Richtern

sein, sagte Timmermans.

Der polnische Europaminister Konrad Szymanski wies dies zurück: Es
gebe keine Möglichkeit einer politischen Einflussnahme auf Richter,
sagte er in Brüssel. Er wandte sich auch gegen eine neue Anhörung im
Artikel-7-Verfahren. Die polnische Regierung ist der Auffassung, dass
das Verfahren erledigt sei und eingestellt werden sollte.

Timmermans beteuerte, er sei sich mit von der Leyen beim Einsatz für
Rechtsstaatlichkeit völlig einig: «Die nächste Kommission wird
genauso wie diese Kommission unerbittlich die Rechtsstaatlichkeit in
der ganzen Europäischen Union durchsetzen», sagte der Niederländer.
Er ist für die Rechtsstaatsverfahren zuständig und soll auch der
nächsten Kommission als Vizepräsident angehören. Östliche EU-Staate
n
hatten Anfang Juli zusammen mit anderen Regierungen verhindert, dass
Timmermans selbst Kommissionschef wird.