Britischer Minister schließt Misstrauensvotum gegen Johnson nicht aus

19.07.2019 15:41

Es gibt kaum einen Zweifel, dass der neue Premierminister in
Großbritannien Boris Johnson heißen wird. Im heillos über den Brexit

zerstrittenen Parlament dürfte er auf ähnliche Schwierigkeiten
treffen wie seine Vorgängerin. Soll die Queen eingreifen?

London/Berlin (dpa) - Der britische Finanzminister Philip Hammond
kann sich vorstellen, einen Premierminister der eigenen Konservativen
Partei zu stürzen, um einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens
zu verhindern. Der haushohe Favorit im Rennen um die Nachfolge von
Premierministerin Theresa May, Boris Johnson, würden auch einen
EU-Austritt ohne Vertrag in Kauf nehmen. Auf die Frage, ob er ein
Misstrauensvotum gegen einen Premierminister Johnson unterstützen
würde, sagte Hammond der «Süddeutschen Zeitung» (Freitag) am Rande

des Treffens der G7-Finanzminister im französischen Chantilly: «Ich
schließe im Moment gar nichts aus.»

Am Dienstag soll das Ergebnis der Wahl des neuen Tory-Parteichefs in
London bekanntgegeben werden. Die etwa 160 000 Parteimitglieder
hatten mehrere Wochen Zeit, um sich zwischen Johnson und
Außenminister Jeremy Hunt zu entscheiden. In einer ersten Rede wird
der Sieger möglicherweise Details seiner Brexit-Pläne offenbaren.

Am Mittwoch folgt dann die Amtsübergabe. Premierministerin Theresa
May wird sich am Mittag ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten
stellen. Anschließend wird sie vor dem Regierungssitz Downing Street
eine Abschiedsrede halten, bevor sie bei Königin Elizabeth II. im
Buckingham-Palast ihren Rücktritt einreicht. Die Queen wird direkt
danach den neuen Premierminister ernennen und mit der
Regierungsbildung beauftragen. Auch von ihm wird dann eine Rede vor
seinem Amtssitz erwartet.

Johnson sowie sein Rivale Hunt wollen einen «No Deal» nach Ablauf der
Austrittsfrist am 31. Oktober in Kauf nehmen, sollte sich die EU
nicht auf Änderungen am Brexit-Abkommen einlassen. Am Donnerstag
könnte der neue Premier seinen ersten Auftritt im Parlament haben.
Die Regierung verfügt dort über eine Mehrheit von gerade einmal drei
Stimmen. Deshalb ist Hammonds Drohung nicht unbedeutend. Zwei
Abweichler wären genug, um dem neuen Regierungschef das Vertrauen zu
entziehen und seine Regierung zu stürzen.

Einen ersten Warnschuss feuerten die Abgeordneten am Donnerstag ab.
Sie stimmten mit deutlicher Mehrheit für einen Gesetzeszusatz, der es
Johnson erheblich erschweren würde, das Parlament in eine Zwangspause
zu schicken, um ein Ausscheiden ohne Abkommen durchzuboxen.

Stein des Anstoßes ist die «Backstop» genannte Regelung, die
garantieren soll, dass es nach dem Brexit keine Grenzkontrollen
zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland gibt.
Denn dann wird ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen den
katholischen Befürwortern einer irischen Vereinigung und
protestantischen Loyalisten befürchtet. Nach der Regelung bliebe das
ganze Vereinigte Königreich zunächst in der Zollunion und Nordirland
in Teilen des Binnenmarkts, bis London und Brüssel eine bessere
Lösung finden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte am Freitag bei ihrer
Sommerpressekonferenz in Berlin die Haltung der EU, dass das
Austrittsabkommen nicht verhandelbar sei. Der Backstop könne jedoch
«überschrieben» werden, indem man eine andere Lösung finde. Ob dies
e
Worte eine Bereitschaft zu Zugeständnissen an die Briten
signalisieren, ist fraglich. Sie könnten auch als Aufforderung an
London interpretiert werden, dauerhaft eine engere Anbindung an
Zollunion und Binnenmarkt zu suchen.

Hammond, dem nur noch wenige Tage als Schatzkanzler verbleiben, ist
für eine enge Anbindung an die EU und könnte eine Führungsfigur der
proeuropäischen Rebellen in der Tory-Fraktion werden. Erst am
Donnerstag hatte er eindringlich vor den Folgen eines Brexits ohne
Abkommen für die Wirtschaft gewarnt. Der «Süddeutschen Zeitung»
sagte er: «Ich werde von der Hinterbank aus alles tun, um
sicherzustellen, dass das Parlament einen ungeordneten Brexit
blockiert.»

In London wird allerdings spekuliert, dass ein Premierminister
Johnson sich weigern könnte, einen Beschluss des Parlaments gegen
einen ungeregelten EU-Austritt zu akzeptieren. In diesem Fall erwägen
konservative Gegner eines ungeregelten Austritts laut BBC, die 93
Jahre alte Königin mit der Bitte um eine Verlängerung der
Brexit-Frist nach Brüssel zu schicken. Als Staatsoberhaupt sei die
Königin berechtigt, ihr Land auf einem EU-Gipfel zu vertreten, heißt
es in dem Bericht. Sie könne dort um eine Fristverlängerung bitten.
Beobachter halten es aber für so gut wie ausgeschlossen, dass es dazu
kommt, weil das Königshaus sich strikt aus der Politik heraushält.