EuGH-Urteil im Autoteilestreit: Kunden hoffen auf niedrigere Preise Von Jan Petermann, Andreas Hoenig und Alkimos Sartoros, dpa

19.09.2019 05:00

Benachteiligen große Autohersteller freie Händler beim
Ersatzteil-Geschäft? Das soll der EuGH nun klären. Das Urteil ist
auch spannend für Verbraucher.

Luxemburg (dpa) - Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte am
Donnerstag (9.30 Uhr) in Luxemburg ein richtungsweisendes Urteil für
Autobesitzer fällen. Im Streit zwischen dem Gesamtverband
Autoteile-Handel (GVA) und dem koreanischen Hersteller Kia geht es
grundsätzlich um die Frage, ob freie Händler beim Ersatzteil-Geschäft

benachteiligt werden. Kunden können je nach Urteil auf niedrigere
Preise hoffen.

Worum geht es genau?

Produzierte Autos erhalten eine Fahrzeug-Identifikationsnummer. In
einer Datenbank - die ein mit Kia verbundenes Unternehmen betreibt -
sind unter der jeweiligen Nummer im Auto verbaute Teile gespeichert.
Händler können über ein kostenpflichtiges Internetportal die zu jeder

Nummer gespeicherten Daten einsehen. Diesen Lesezugriff erhalten
sowohl Vertragswerkstätten als auch freie Reparaturbetriebe. Sie
können damit sehen, welche Originalersatzteile sie für eine Reparatur
brauchen. Sie können allerdings nicht sehen, ob es billigere
Alternativen gibt.

Dabei geht es um einen Milliardenmarkt mit einem Volumen in
Deutschland von mehr als 26 Milliarden Euro. Bei den Reparaturen
haben freie Werkstätten einen Anteil von knapp 40 Prozent.

Was fordert der Autoteile-Verband nun?

Aus Sicht des Ersatzteileverbands GVA - in dem auch größere
Zulieferer wie Bosch und ZF organisiert sind - müssten freie Händler
besseren Zugriff auf die Daten bekommen, damit diese von freien
Ersatzteilherstellern verarbeitet und Werkstätten dann jeweils
alternative Teilelisten zur Verfügung gestellt werden können.

Der Verband wies darauf hin, dass man in einem früheren Verfahren vor
dem Landgericht Frankfurt Anfang 2016 bereits «einen wichtigen
Erfolg» gegen Kia erzielt habe. Damals sei mit «Signalwirkung für den

gesamten europäischen Kfz-Ersatzteilmarkt» geklärt worden, dass
Autohersteller die Pflicht haben, «unabhängigen Marktteilnehmern
Daten zur Fahrzeug- und Ersatzteil-Identifikation in elektronischer
Form zur unmittelbaren elektronischen Weiterverarbeitung zur
Verfügung zu stellen». Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt kippte
die Entscheidung allerdings, der zuletzt mit der Sache befasste
Bundesgerichtshof (BGH) verwies sie nach Luxemburg.

Was sagt die Automobilindustrie?

Nach Einschätzung des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) hat es
in den vergangenen Jahren keine signifikante Veränderung der
Marktanteile zwischen gebundenem und freiem Ersatzteilhandel gegeben.
Einer aktuellen Untersuchung zu Kfz-Ersatzteilpreisen in Europa
zufolge liegen die Ersatzteilpreise in Deutschland eher am unteren
Ende, sagte VDA-Sprecher Eckehart Rotter. «Der Verbraucher in
Deutschland profitiert - wie im Pkw-Markt insgesamt - auch hier von
einem intensiven Wettbewerb.»

Deutschlands größter Autobauer, der Volkswagen-Konzern, betont, dass
aus seiner Sicht alle Standards befolgt werden. Die Transparenz der
Teilekataloge sei über das Portal Partslink24 gewährleistet. Man
biete «selbstverständlich den im Gesetz genannten unabhängigen
Marktbeteiligten uneingeschränkten Zugang zu Reparatur- und
Wartungsinformationen», die Eingabe der entsprechenden
Fahrzeug-Identifikationsnummer reiche dafür. Der freie Wettbewerb im
Teilehandel werde grundsätzlich befürwortet.

Was muss der EuGH nun entscheiden?

Der BGH will im Kern wissen, ob freie Händler und Werkstätten durch
die bestehenden Praktiken unerlaubterweise diskriminiert werden. Im
Detail will er wissen, ob Hersteller nach geltendem EU-Recht freien
Händlern und Werkstätten die Fahrzeug- und Teileinformationen in
elektronisch weiterzuverarbeitender Form bereitstellen müssen.

Was sagen Verbraucherschützer?

Aus Sicht von Verbraucherschützern könnte ein Erfolg des
Autoteile-Verbands zu niedrigeren Preisen für Autobesitzer führen.
«Wenn freie Werkstätten Zugang zu Datenbanken zu Ersatzteilen
bekommen, ist das eine gute Nachricht für Kunden. Man kann dann von
sinkenden Preisen ausgehen», sagte Gregor Kolbe vom
Verbraucherzentrale Bundesverband. «Bisher verdienen die Hersteller
immer mit, weil sie den Zugang zu Datenbanken erschweren. Es handelt
sich um einen Milliardenmarkt.»

Gab es schon ähnliche Wettbewerbsverfahren rund um Autoteile und
Autohandel?

Ja. Im September 2013 entschied etwa der BGH, dass Besitzer von
Gebrauchtwagen von Autoherstellern nicht gezwungen werden können,
Reparaturen und Inspektionen nur in Vertragswerkstätten durchführen
zu lassen - wenn die Kunden nicht riskieren wollen, die Garantie für
ihr Fahrzeug zu verlieren. Die Richter urteilten damals: Eine
Garantie für ältere Autos kann nicht mit einer Verpflichtung zu
Wartungen nur in den eigenen Stammniederlassungen gekoppelt werden.
Viele Autofahrer hatten berichtet, dass Termine bei sogenannter
Werkstattbindung oft zu einer höheren Rechnung führten als bei der
Nutzung einer freien Autowerkstatt.