EuGH-Autoteileurteil: Hoffnung auf niedrigere Preise vorerst geplatzt Von Jan Petermann, Andreas Hoenig und Alkimos Sartoros, dpa

19.09.2019 14:29

Verstoßen große Autohersteller beim Ersatzteil-Geschäft gegen
EU-Recht? Der Europäische Gerichtshof hat nun ein klares Urteil
gefällt. Für Verbraucher ist es eher enttäuschend. Doch es gibt
Hoffnung.

Luxemburg (dpa) - Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am
Donnerstag in Luxemburg ein Grundsatzurteil für Autobesitzer und
freie Händler gefällt. Im Streit zwischen dem Gesamtverband
Autoteile-Handel (GVA) und dem koreanischen Hersteller Kia ging es
grundsätzlich um die Frage, ob freie Händler beim Ersatzteil-Geschäft

benachteiligt werden - mit Auswirkungen auch für Verbraucher.

Worum ging es genau?

Produzierte Autos erhalten eine Fahrzeug-Identifikationsnummer. In
einer Datenbank - die ein mit Kia verbundenes Unternehmen betreibt -
sind unter der jeweiligen Nummer im Auto verbaute Teile gespeichert.
Händler können über ein kostenpflichtiges Internetportal die zu jeder

Nummer gespeicherten Daten einsehen. Diesen Lesezugriff erhalten
sowohl Vertragswerkstätten als auch freie Reparaturbetriebe. Sie
können damit sehen, welche Originalersatzteile sie für eine Reparatur
brauchen. Sie können allerdings nicht sehen, ob es billigere
Alternativen gibt.

Dabei geht es um einen Milliardenmarkt mit einem Volumen in
Deutschland von mehr als 26 Milliarden Euro. Bei den Reparaturen
haben freie Werkstätten einen Anteil von knapp 40 Prozent.

Was forderte der Autoteile-Verband?

Aus Sicht des Ersatzteileverbands GVA - in dem auch größere
Zulieferer wie Bosch und ZF organisiert sind - hatte beklagt, dass
freie Reparaturbetriebe, die in der von Kia zur Verfügung gestellten
Datenbank suchten, nur Originalersatzteile der Vertragshändler finden
könnten, was für diese einen Vorteil darstellen könne. Freie Händle
r
müssten daher besseren Zugriff auf die Daten bekommen, damit sie
diese verarbeiten und Werkstätten dann alternative Teilelisten zur
Verfügung stellen könnten.

Was sagt die Automobilindustrie?

Nach Einschätzung des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) hat es
in den vergangenen Jahren keine signifikante Veränderung der
Marktanteile zwischen gebundenem und freiem Ersatzteilhandel gegeben.
Einer aktuellen Untersuchung zu Kfz-Ersatzteilpreisen in Europa
zufolge liegen die Ersatzteilpreise in Deutschland eher am unteren
Ende, sagte VDA-Sprecher Eckehart Rotter. «Der Verbraucher in
Deutschland profitiert - wie im Pkw-Markt insgesamt - auch hier von
einem intensiven Wettbewerb.»

Deutschlands größter Autobauer, der Volkswagen-Konzern, betont, dass
aus seiner Sicht alle Standards befolgt werden. Die Transparenz der
Teilekataloge sei über das Portal Partslink24 gewährleistet. Man
biete «selbstverständlich den im Gesetz genannten unabhängigen
Marktbeteiligten uneingeschränkten Zugang zu Reparatur- und
Wartungsinformationen», die Eingabe der entsprechenden
Fahrzeug-Identifikationsnummer reiche dafür. Der freie Wettbewerb im
Teilehandel werde grundsätzlich befürwortet.

Was hat der EuGH nun entschieden?

Der Bundesgerichtshof, der den Fall nach Luxemburg verwiesen hatte,
wollte im Kern wissen, ob freie Händler und Werkstätten durch die
bestehenden Praktiken unerlaubterweise diskriminiert werden. Im
Detail wollte er wissen, ob Hersteller nach geltendem EU-Recht freien
Händlern und Werkstätten die Fahrzeug- und Teileinformationen in
elektronisch weiterzuverarbeitender Form bereitstellen müssen.

Die Luxemburger Richter haben nun geurteilt, dass nach bestehendem
EU-Recht die Autohersteller nicht verpflichtet seien, die Daten in
elektronisch weiterzuverarbeitender Form bereitzustellen. Der
Lesezugriff über jeweilige Einzelabfragen reiche aus. Die freien
Händler würden dabei auch nicht diskriminiert, da Vertragshändlern
und -Werkstätten die gleichen Informationen zur Verfügung stünden.


Was sagen Verbraucherschützer?

Aus Sicht von Verbraucherschützern hätte ein Erfolg des
Autoteile-Verbands zu niedrigeren Preisen für Autobesitzer führen
können. Sie zeigten sich nun enttäuscht. «Für die Fahrzeugbesitzer

ist dies ein Rückschlag. Die Hoffnung, dass durch ein positives
Urteil der Zugang zu Ersatzteilen erleichtert und die Verbraucher
durch sinkende Kosten direkt profitieren würden, ist leider durch den
EuGH verhindert worden», sagte Gregor Kolbe vom Verbraucherzentrale
Bundesverband. «Ein Wettbewerb um günstige Ersatzteile wird so
verhindert, und die Autohersteller werden weiter an jedem Ersatzteil
mitverdienen - was zu höheren Preisen für Verbraucher führt. Die
Entscheidung des EuGH hilft Autoherstellern und stellt freie
Werkstätten und Händler schlechter.»

Können sich Verbraucher trotzdem noch Hoffnung machen?

Ja. Der vorliegende Fall ging mehrere Jahre durch die Vorinstanzen.
Die EU-Staaten und das Europaparlament einigten sich allerdings im
vergangenen Jahr darauf, dass Autobauer künftig ihre Datensätze in
elektronisch verarbeitbarer Form zur Verfügung stellen müssen. Das
entsprechende Gesetz soll ab 1. September 2020 gelten.

Gab es schon ähnliche Wettbewerbsverfahren rund um Autoteile und
Autohandel?

Ja. Im September 2013 entschied etwa der BGH, dass Besitzer von
Gebrauchtwagen von Autoherstellern nicht gezwungen werden können,
Reparaturen und Inspektionen nur in Vertragswerkstätten durchführen
zu lassen - wenn die Kunden nicht riskieren wollen, die Garantie für
ihr Fahrzeug zu verlieren. Die Richter urteilten damals: Eine
Garantie für ältere Autos kann nicht mit einer Verpflichtung zu
Wartungen nur in den eigenen Stammniederlassungen gekoppelt werden.
Viele Autofahrer hatten berichtet, dass Termine bei sogenannter
Werkstattbindung oft zu einer höheren Rechnung führten als bei der
Nutzung einer freien Autowerkstatt.