Von der Leyen die «europäische Lebensweise» - Der Streit geht weiter Von Michel Winde, dpa

19.09.2019 14:51

Den «American Way of Life» kennt jeder. Aber gibt es auch eine
europäische Lebensweise? Über einen bizarren Namensstreit und einen
Machtkampf zwischen Ursula von der Leyen und dem EU-Parlament.

Straßburg (dpa) - Ursula von der Leyen hat eine klare Vorstellung,
was die «europäische Lebensweise» ausmacht. Immerhin will die
künftige Präsidentin der EU-Kommission einen ihrer Vizes beauftragen,
diesen «European Way of Life» zu schützen. Andere rätseln, was es
damit auf sich hat. In Brüssel ist darüber sogar ein hitziger Streit
ausgebrochen. Nach einem Treffen zwischen von der Leyen und den
Fraktionschefs des Europaparlaments ist nur eines klar: Der Streit
geht weiter.

Gut eine Woche ist es her, dass von der Leyen ihr Team für die
nächste EU-Kommission vorgestellt hat: Es ist eine fein austarierte
Mannschaft, ein Balanceakt in Sachen Herkunft, Geschlecht und
Parteibuch. Über all das wird seither allerdings kaum geredet.
Stattdessen geht es um den «European Way of Life».

In der von-der-Leyen-Kommission soll der Grieche Margaritis Schinas
Vizepräsident mit der Zuständigkeit «Protecting our European Way of
Life» werden - zu Deutsch: «Schützen, was Europa ausmacht». Schinas
,
der bis vor kurzem Chefsprecher des scheidenden Kommissionschefs
Jean-Claude Juncker war, soll die Arbeit mehrerer EU-Kommissare zu
völlig verschiedenen Themen koordinieren: Fachkräftemangel, Bildung,
Kultur, Sport, Sicherheit. Und Migration.

Europa schützen und Migration - diese Verknüpfung sorgt für Empörun
g.
Linke, Grüne, Liberale und Sozialdemokraten im EU-Parlament lehnen
den «European Way of Life»-Kommissar in seiner jetzigen Form ab. Sie
sehen eine sprachliche Nähe zu Rechtsextremen und beklagen, der Titel
klinge nach Abschottung. Entweder der Titel oder das Aufgabengebiet
Schias' sollten geändert werden, sagte der Vorsitzende der Liberalen,
Dacian Ciolos, am Donnerstag.

Muss von der Leyen am Ende nachgeben? Das Europaparlament hat einen
entscheidenden Hebel. Alle angehenden Kommissare müssen sich Ende
September und Anfang Oktober Anhörungen in den Fachausschüssen
stellen. Schinas ist am 3. Oktober dran. Die Abgeordneten können
anschließend empfehlen, den einen oder anderen Nominierten
auszutauschen. In einer endgültigen Abstimmung kann das Plenum noch
die gesamte Kommission durchfallen lassen. All das ist also mehr als
Wortklauberei. Es ist auch ein Machtkampf.

Inhalt und Qualität der Schinas-Anhörung könnten durch die anhaltende

Diskussion leiden, warnte Ciolos am Donnerstag nach dem Treffen mit
von der Leyen. Änderungen sollten schon früher vorgenommen werden.
Auch die Chefin der Sozialdemokraten im Parlament, Iratxe García,
forderte Klarstellungen vor Beginn der Anhörungen. «Wir werden denn
Titel, so wie er ist, nicht akzeptieren», sagte sie mit Blick auf das
Schinas-Portfolio.

Seit Tagen schon ist von der Leyen im Rechtfertigungsmodus.
«Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Wahrung der Menschenwürde.
Diese Werte und unsere Bindung an sie bilden das Fundament unserer
Gesellschaft», heißt es in einem Gastbeitrag für mehrere europäisch
e
Tageszeitungen. Für manche sei der Begriff «europäische Lebensweise
»
politisch zu aufgeladen, als dass er verwendet werden sollte. «Ich
bin da anderer Meinung. Ich bin überzeugt, dass wir uns unsere
Begriffe von Europas Gegnern nicht nehmen lassen dürfen. Die Werte in
den Europäischen Verträgen zu schützen ist Grundlage unserer
Identität.»

Öffentliche Rückendeckung kommt immerhin aus ihrer eigenen
Parteienfamilie. «Wir stehen zu diesem Titel und unterstützen von der
Leyen», sagte Fraktionschef Manfred Weber jüngst. Die Kritik?
Versteht er nicht. «Wir müssen uns nur klar werden, wovon wir
sprechen. Weil zu meiner Definition von «European Way of Life»
gehört, dass wir Migranten im Mittelmeer retten.»

Ja, was ist die europäische Lebensweise denn genau? Ist es die Sauna
in Finnland und die Lederhose in Bayern? Der Espresso in Italien und
der griechische Feta? In Vielfalt geeint, das Europamotto. Oder
abstrakter: Der Bezug auf Jahrtausende alte Kultur und Geschichte?
Ein Leben in relativer Sicherheit? Das Bekenntnis zu Werten wie
Demokratie und Gleichheit? Gibt es etwas, das Europäer eint und von
Menschen in Amerika, Afrika oder Asien unterscheidet?

Johannes Moser hält das für ziemlich abwegig. Moser ist Professor am
Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie
der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Mit dem Begriff der
europäischen Lebensweise kann er nichts anfangen. Es gebe in Europa
viele Nationen, und selbst innerhalb dieser Nationen gebe es etliche
Unterschiede. «Zwischen Preußen und Bayern klafft eine riesige
Kluft.»

Und jene Werte, die von der Leyen als europäischen Nenner anführt -
Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Wahrung der Menschenwürde? «All
das verbindet sicher viele Staaten in Europa», sagt Moser. «Aber das
ist doch nicht der europäische Weg.» Diese Werte teilten auch viele
andere UN-Staaten. Wie Moser es auch dreht und wendet: «Ich finde
nichts, was lediglich auf Europa zutreffen würde.»

Noch wichtiger sei vielleicht, dass Europa auf vielfältige Weise
global verstrickt sei, sagt Moser. Kolonialismus, Einwanderung,
Auswanderung und die sich daraus ergebenden Einflüsse machten es noch
schwieriger, die europäische Lebensweise zu definieren.

Unabhängig davon, ob es die europäische Lebensweise nun gibt - für
von der Leyen dürfte es schwierig werden, mit dem «European Way of
Life»-Kommissar durchzukommen. Ob sie den Schinas-Titel ändern werde,
wurde sie am Donnerstag von Journalisten gefragt. Eine Antwort gab
sie nicht.