EU-Migrationspolitik: Seehofer kündigt deutschen Reformvorschlag an Von Martina Herzog, dpa

19.09.2019 16:45

Horst Seehofer ist es leid: Jedes Mal, wenn Bootsflüchtlinge vor
Italien oder Malta warten, verhandeln die EU-Staaten über die
Aufnahme. Dabei liege das wirkliche Problem ganz woanders, warnt der
Innenminister - und stellt einen deutschen Vorstoß in Aussicht.

Berlin (dpa) - Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat Kritik an
seinem Angebot zur Aufnahme geretteter Bootsflüchtlinge
zurückgewiesen und Vorschläge für eine Reform des europäischen
Asylsystems angekündigt. Innerhalb der Union hatte es heftigen
Gegenwind gegeben für die Offerte, dass Deutschland ein Viertel der
Migranten aufnehmen will, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet
werden und vor Italien und Malta ankommen. «Es ist unglaublich, dass
man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem
Ertrinken rechtfertigen muss», beklagte Seehofer am Donnerstag in
Berlin.

Seehofer wies darauf hin, dass Deutschland seit Juli 2018 lediglich
die Aufnahme von 565 aus Seenot geretteten Migranten zugesagt habe.
Da die Sicherheitsüberprüfung durch deutsche Behördenvertreter in
Malta und Italien noch nicht bei allen von ihnen abgeschlossen sei,
hätten erst 225 von ihnen bislang die Bundesrepublik erreicht. Diese
Zahl sei im Vergleich zur gesamten Asyl-Migration gering. In den
ersten acht Monaten dieses Jahres hätten hierzulande rund 98 000
Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt - rund zehn Prozent
weniger als im Vorjahreszeitraum. Für das Gesamtjahr 2019 rechne er
mit «140 000 bis 150 000 Migranten».

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder waren
bei einem gemeinsamen Auftritt bei einer CSU-Fraktionsklausur im
oberfränkischen Bad Staffelstein erkennbar bemüht, die Wogen zu
glätten. Kramp-Karrenbauer sagte, es gebe ja zeitgleich auch Vorstöße

von Frankreich und Italien, um zu einem Verteilmechanismus zu kommen.
«Ich bin der Auffassung, wir brauchen hier eine breite europäisch
getragene Lösung.» Ziel müsse es aber sein, dass es am Ende «das
falsche Signal, den Pull-Effekt, nicht gibt».

Nach einem Treffen mit der neuen italienischen Innenministerin
Luciana Lamorgese hofft Seehofer auf «ein neues Kapitel der guten
Zusammenarbeit». Deren Vorgänger Matteo Salvini von der rechten Lega
hatte Schiffen mit Geretteten immer wieder die Einfahrt in die Häfen
seines Landes verweigert, daraufhin begannen jedes Mal zähe
Verhandlungen zwischen Deutschland und anderen EU-Staaten über die
Aufnahme. Dieses «europäisches Telefonkonzert» müsse ein Ende haben
,
verlangte Seehofer.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte eine Unterstützung
Italiens an. Man müsse nach europäischen Lösungen suchen, «die
Italien tatsächlich auch entlasten», sagte er in Rom nach einem
Gespräch mit Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella. «Zentral ist

aus unserer Sicht, dass der Rest von Europa Italien bei dieser
Aufgabe nicht alleine lässt.» Auch Deutschland und Italien müssten
bei diesem Thema wieder enger zusammenarbeiten.

Am Montag will Seehofer auf Malta mit Vertretern aus Frankreich,
Italien und Malta bei einem Treffen mit dem EU-Ratsvorsitzenden
Finnland und der EU-Kommission über eine Übergangsregelung beraten.
Die Ergebnisse sollten am 8. Oktober beim Treffen der
EU-Innenminister in Luxemburg vorgestellt werden, sagte Seehofer.
Vereinbarungen dürften aber nicht dazu führen, dass das Geschäft der

Schlepper befördert werde. «Wir können jetzt nicht einen Pendeldienst

zwischen der libyschen Küste und Italien einrichten.» Es seien auch
Gespräche mit Vertretern von Hilfsorganisationen geplant.

Seehofer kündigte zudem einen deutschen Vorstoß an. Derzeit ist nach
den Dublin-Regeln jenes Land für die Bearbeitung von Asylanträgen
zuständig, in dem Geflüchtete zuerst europäischen Boden betreten
haben. Auf die Frage, ob die aktuellen Pläne den Anfang vom Ende
dieses Prinzips bedeuteten, antwortete Seehofer: «Was hilft uns ein
System, das nicht funktioniert?» Die entsprechenden Regelungen würden
«in sehr hohem Maße» nicht umgesetzt. In seinem Haus seien bereits
Ideen erarbeitet worden, die er für besser halte, für die es aber die
Unterstützung der anderen EU-Staaten brauche.

Damit wendet sich der Minister vom Kurs des Sommers 2018 ab, als er
noch Vereinbarungen mit Griechenland und Spanien zur Rücknahme von
Migranten aushandelte, die dort bereits Asyl beantragt hatten und an
der deutschen Grenze aufgegriffen werden. Diese Vereinbarungen, über
die kaum ein Migrant zurückgeschickt wird, waren noch auf die
unbedingte Durchsetzung der Dublin-Regelung ausgerichtet.

Nun sagte Seehofer: «Die Politik hat ja manchmal die Eigenschaft,
dass sie sich um das Kleine kümmert und das Große aus dem Blick
verliert.» Die Situation der Flüchtlinge in der Türkei und die
Zunahme der illegalen Migration über die Balkanstaaten seien aktuell
die eigentlichen Herausforderungen, betonte er.

Mehr als 38 000 Migranten kamen nach Angaben der
EU-Grenzschutzagentur Frontex in den ersten acht Monaten des
laufenden Jahres in Griechenland und Zypern an. Nur etwa 6500
Menschen kamen in Malta und Italien an, etwa 15 000 in Spanien. «Wenn
wir da kein vernünftiges, belastbares Regelwerk hinbekommen, wird es
zur unkontrollierten Migrationsbewegung kommen», warnte Seehofer. Es
dürfe nicht wieder so weit kommen, dass die Länder an den Grenzen
Europas Migranten einfach durchwinkten.

Seehofer kündigte an, dass er Anfang Oktober nach Griechenland und in
die Türkei reisen wolle. In der Türkei gebe es den Eindruck, dass die
EU-Türkei-Vereinbarung zur Rücknahme von Flüchtlingen von den
griechischen Inseln nicht wie abgesprochen umgesetzt werde, sagte er.
«Und darum muss man sich kümmern.» In Griechenland sind die Lager auf

den Inseln hoffnungslos überfüllt. Es werden kaum Migranten von dort
in die Türkei zurückgeschickt. Mitarbeiter des Bundesamts für
Migration und Flüchtlinge (Bamf) hätten einen Maßnahmenkatalog zur
Unterstützung ausgearbeitet, sagte Seehofer. Unter anderem müsse das
Lager Moria winterfest gemacht werden, zudem wolle die Bundesrepublik
mehr Beamte schicken. Darüber habe es schon erste Gespräche mit der
EU-Kommission gegeben.