Brexit-Lösung rückt näher

15.10.2019 21:36

Monatelang ging beim Brexit nichts voran - und nun soll binnen
weniger Stunden ein Vertragsentwurf aus dem Boden gestampft werden.
Kann das noch bis zum EU-Gipfel klappen?

London/Brüssel (dpa) - Unter großem Zeitdruck sind die EU und
Großbritannien am Dienstag einer Brexit-Einigung näher gekommen. Es
gebe «erste Anzeichen für Fortschritte», sagte Irlands Regierungschef

Leo Varadkar. EU-Unterhändler Michel Barnier berichtete
Europaabgeordneten von Bewegung auf britischer Seite. «Ein Abkommen
scheint mittlerweile in greifbarer Nähe», schloss der
Linken-Abgeordnete Martin Schirdewan aus den Informationen.

Kanzlerin Angela Merkel hatte am Dienstag bekräftigt, man werde bis
zur letzten Minute für einen geregelten Brexit arbeiten. Ziel war ein
Vertragsentwurf bis Mittwoch und eine Entscheidung beim EU-Gipfel
Ende der Woche. Die Verhandlungen zogen sich allerdings am
Dienstagabend in Brüssel in die Länge. Ein Ende sei noch nicht
abzusehen, hieß es. Offiziell wollten beide Seiten keinen Kommentar
zum Verhandlungsstand abgeben.

Der britische Premierminister Boris Johnson zielt auf einen Deal beim
EU-Gipfel, um den Brexit wie geplant am 31. Oktober zu vollziehen -
mehr als drei Jahre nach dem Referendum für den EU-Austritt. Ohne
Einigung müsste der Premier nach einem britischen Gesetz ab Samstag
eine Fristverlängerung bei der EU beantragen - was er keinesfalls
will. Vorige Woche hatte Johnson Zugeständnisse in der umstrittenen
Irland-Frage gemacht. Doch der EU reichte dies noch nicht. Am
Dienstag wurde offenbar nachgelegt.

Ministerpräsident Varadkar äußerte sich in Irland vorsichtig. Die
Dinge bewegten sich zwar in die richtige Richtung, doch der Spalt
zwischen Großbritannien und der EU sei noch recht groß. Es sei
unklar, ob rechtzeitig zum EU-Gipfel ein Deal zustande komme.

Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) hatte zuvor gesagt, es gebe
zwei einfache Bedingungen für eine Einigung: Der EU-Binnenmarkt müsse
gewahrt und der Frieden in Nordirland geschützt werden. «Jetzt liegt
es wieder mal an unseren britischen Partnern, das zu tun, was nötig
ist.»

EU-Unterhändler Barnier formulierte es so: «Es ist höchste Zeit, gute

Absichten in einen Rechtstext zu gießen.» Die Verhandlungen seien
schwierig, aber eine Einigung möglich. Hinter verschlossenen Türen
sagte Barnier nach Angaben von Diplomaten, ein Durchbruch müsse bis
Dienstagabend erreicht sein.

Deutsche Regierungsvertreter nannten eine andere Frist: Bis
Mittwochnachmittag solle ein Vertragsentwurf vorliegen. Allerdings
sei man skeptisch, ob dies gelinge. Gebe es nur Eckpunkte, müsse man
weiter verhandeln. In dem Fall sei ein EU-Sondergipfel vor dem 31.
Oktober nicht ausgeschlossen.

Auch Finnland, Österreich und die Niederlande äußerten Zweifel an
einer Blitzeinigung vor dem Gipfel. Irland und Frankreich schlossen
sie indes nicht aus. Der französische Präsident Emmanuel Macron
telefonierte am Dienstag mit Johnson, ohne dass danach Details
bekannt wurden.

Streitpunkt war nach wie vor die Frage, wie die Grenze zwischen dem
EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland offen gehalten werden
kann. Aus Sicht der EU ist das nötig, um neue Unruhen in dem früheren
Bürgerkriegsgebiet zu vermeiden. Doch will die Gemeinschaft nicht,
dass über die «Hintertür» der neuen EU-Außengrenze in Irland
unkontrolliert und unverzollt Waren auf den Binnenmarkt strömen.

Zur Debatte steht nun eine spezielle Zollpartnerschaft, die
Kontrollen an der Grenzlinie überflüssig machen soll. Nach Angaben
aus deutschen Regierungskreisen könnte womöglich Großbritannien
Zollkontrollen für die EU übernehmen. Doch müsse die EU dies
überprüfen und notfalls einschreiten oder klagen können. Diese
Details seien sehr wichtig.

Sollte noch ein Abkommen zustande kommen, müsste es nicht nur vom
britischen, sondern auch vom Europäischen Parlament rechtzeitig
ratifiziert werden. SPD-Europapolitiker Jens Geier zeigte sich im
Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur offen für einen Deal in
letzter Minute, schränkte aber ein: «Machbar ist nur, was keine
Fragen aufwirft. Alles muss geklärt sein, bevor wir ja sagen.»

Aus Sicht der Grünen-Europaabgeordneten Terry Reintke wird in jedem
Fall eine Verlängerung nötig. «Das britische Parlament wird Zeit
brauchen, einen gemeinsamen Weg nach vorne zu finden», erklärte sie
der dpa. «Als Europäisches Parlament haben wir bereits beschlossen,
dem Vereinigten Königreich diese Zeit zu geben. Der Europäische Rat
sollte sich dem anschließen und das Brexit-Datum verschieben.»