Deutsche Wirtschaft warnt vor Labour: Johnson ist «kleineres Übel»

11.11.2019 05:30

Der britische Premierminister Johnson will endlich den Brexit
durchziehen - die deutsche Wirtschaft lehnt den geplanten EU-Austritt
ab. Und doch: Die Alternative zum konservativen Politiker bereitet
den Wirtschaftsvertretern noch mehr Sorgen.

London (dpa) - Die deutsche Wirtschaft in Großbritannien warnt vor
der Parlamentswahl vor einem Sieg der Oppositionspartei Labour und
bevorzugt Premierminister Boris Johnson - trotz dessen Brexit-Plänen.
«Es ist ein Abwägen des «kleineren Übels»», sagte der Geschäf
tsführer
der deutsch-britischen Handelskammer (AHK) in London, Ulrich Hoppe,
der Deutschen Presse-Agentur. Grund sind die wirtschaftspolitischen
Vorhaben von Labour und Parteichef Jeremy Corbyn.

«Die Wirtschaft steht den Plänen einer Regierung Corbyn kritisch
gegenüber», betonte Hoppe. «Aufgrund der angekündigten
Verstaatlichungen und Umverteilungen fallen Anreize weg. Damit wird
die Wirtschaftskraft geschwächt», sagte Hoppe. «Das bedeutet, dass
viele Verbraucher mittelfristig sicherlich noch weniger Geld in der
Tasche haben, um Waren zu kaufen - und darunter leiden dann natürlich
auch die deutschen Unternehmen, die den Markt bedienen.»

Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts ist es wahrscheinlich, dass
entweder Johnsons Konservative oder Labour nach der Abstimmung den
Premierminister stellen. Die Sozialdemokraten wollen unter anderem
Steuern für Wohlhabende und Unternehmen erhöhen und verschiedene
Bereiche der Grundversorgung wie Energie- und Wassernetze, Post und
Bahn verstaatlichen. Außerdem sollen Betriebe mit mehr als 250
Mitarbeitern verpflichtet werden, zehn Prozent ihrer Anteile in einem
Fonds zu parken, aus dem den Beschäftigten Dividenden gezahlt werden.
Premierminister Johnson hatte die Pläne mit Methoden von
Sowjetdiktator Josef Stalin verglichen.

Unklar sei auch, wie sich unter einer Labour-Regierung das
Wirtschaftsumfeld gestalten werde, sagte Hoppe mit Blick auf
Ankündigungen wie eine Viertagewoche. «Ist es dann noch
wettbewerbsfähig, hier zu produzieren? Das werden sich deutsche
Unternehmen dann überlegen», sagte Hoppe.

Der AHK-Geschäftsführer kritisierte zugleich den geplanten Brexit.
Seit dem Referendum 2016 sei Großbritannien unattraktiver geworden,
auch wegen des niedrigen Pfundkurses. «Es sind weniger Firmen, die
sich nach Investitionsmöglichkeiten hierzulande erkunden», sagte
Hoppe. Viele Unternehmen warteten ab, wie sich der Brexit nun konkret
auswirken und welche Regularien es künftig geben werde. «Keiner weiß

es.» Die Wirtschaft hoffe auf einen unternehmerfreundlichen Brexit,
mit relativ enger Anbindung an die Zollunion und den Binnenmarkt.

Auch die Gestaltung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und
dem Vereinigten Königreich «steht in den Sternen», meinte Hoppe.
Ankündigungen von Premier Johnson, nach dem Brexit schnell ein
Handelsabkommen mit der EU auszuhandeln, nannte Hoppe unrealistisch.
«Man kann einfach die Zölle abschaffen, und das war's. Aber es geht
auch um Regularien, um Marktzugang. Und das ist komplizierter»,
betonte er. Hoppe sagte, es werde schließlich teurer werden für
deutsche Unternehmen, im Vereinigten Königreich zu produzieren.
«Diese Mehrkosten werden - wenn möglich - höchstwahrscheinlich auf
die Verbraucher abgewälzt.»

2018 betrug das Handelsvolumen zwischen Deutschland und dem
Vereinigten Königreich 119 Milliarden Euro. Nach Angaben der AHK
hängen etwa 750 000 Arbeitsplätze in Deutschland vom bilateralen
Handel ab, deutsche Unternehmen beschäftigen in Großbritannien mehr
als 400 000 Mitarbeiter.