Oettinger wirbt für offeneren Umgang mit Atomenergie

29.11.2019 04:20

Brüssel (dpa) - Der CDU-Politiker und scheidende EU-Kommissar Günther
Oettinger fordert einen offeneren Umgang mit Atomenergie. «Ich
glaube, dass auf der Welt so viel Strom gebraucht wird, dass man im
Grunde genommen nicht kategorisch auf irgendeine Technik verzichten
wird können», sagte Oettinger der Deutschen Presse-Agentur in
Brüssel. Den deutschen Ausstieg aus der Kernkraft respektiere er,
gleichzeitig müsse man aber sehen, dass er kaum Nachahmer gefunden
habe. Wichtig seien höchste Sicherheitsstandards.

Oettinger verwies darauf, dass in Frankreich noch immer rund 70
Prozent der Energie aus Atomkraftwerken komme und dass in Ländern wie
Ungarn und Großbritannien neue Meiler im Bau oder in der Planung
seien. Darüber hinaus gebe es das Projekt für den Kernfusionsreaktor
Iter, an dem neben der EU auch die USA, China, Südkorea, Japan,
Russland und Indien beteiligt seien.

Nach Einschätzung von Oettinger könnte Deutschland nach der
Abschaltung seiner letzten Kernkraftwerke im Jahr 2022 noch längere
Zeit Atomstrom aus Nachbarländern nutzen müssen, um den Bedarf vor
allem im Süden zu decken. «Dann werden wir merken, wie wichtig es
ist, europäische Partner zu haben und einen Strombinnenmarkt», sagte
der frühere baden-württembergische Ministerpräsident. «Dann wird ei
n
Auto in Karlsruhe mit Kernkraftstrom aus Frankreich umweltfreundlich
fahren.»

Als Hintergrund eines solchen möglichen Szenarios nannte Oettinger
den nur langsam vorankommenden Ausbau der Stromnetze in Deutschland,
die künftig zum Beispiel an Nord- und Ostsee erzeugte Windenergie
nach Bayern oder Baden-Württemberg transportieren sollen. Dort sitzen
viele industrielle Großabnehmer.

Der Ausstieg aus der Atomenergie war in Deutschland nach der
Reaktorkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima 2011
endgültig beschlossen worden. Im Zuge der sogenannten Energiewende
sollen nun Kohle, Gas und Atomkraft durch Ökostrom aus Wind- und
Sonnenenergie ersetzt werden. 2022 soll das letzte Atomkraftwerk vom
Netz gehen, bis 2038 ist zudem der Kohleausstieg geplant.