Boris Johnson: Zweiter Churchill oder skrupelloser Selbstdarsteller? Von Christoph Meyer und Silvia Kusidlo, dpa

05.12.2019 09:31

Boris Johnson hat es sich zum Ziel gesetzt, Großbritannien aus dem
Brexit-Schlamassel zu befreien. Doch seine Kritiker werfen ihm vor,
er habe das Land erst dort hineingeführt.

London (dpa) - Als Boris Johnson nach seiner Wahl zum Tory-Parteichef
und Premier vor die Tür der Downing Street 10 trat, klang es, als
wäre Großbritannien im Krieg und dem Land stünde eine
Entscheidungsschlacht bevor: «Die Zweifler, die Untergangspropheten
und Pessimisten werden wieder danebenliegen», rief er.

Lieber wolle er «tot im Graben» liegen, als eine Verlängerung der
Brexit-Frist am 31. Oktober zu beantragen, verkündete Johnson kurze
Zeit später. Doch am Ende musste er sich dem Willen der Mehrheit im
Parlament fügen. Aus seinem angedrohten Brexit ohne Abkommen wurde
genauso wenig etwas, wie aus seinem eilig nachverhandelten
Brexit-Deal. Immerhin setzte er sich im vierten Versuch mit seinem
Wunsch nach einer Neuwahl durch, die das Land nun mitten in der
Adventszeit trifft.

Johnson regierte seit Anfang September ohne Mehrheit im Parlament.
Zum Markenzeichen seiner bislang kurzen Amtszeit als Premierminister
wurde ein rücksichtsloses Vorgehen gegen innerparteiliche Gegner. Als
eine Gruppe von zum Teil altgedienten Tories gegen die Regierung
stimmte, warf er sie kurzerhand aus der Fraktion. Viele sehen darin
die Handschrift des Wahlkampfstrategen Dominic Cummings, der
gemeinsam mit Johnson hinter der Vote-Leave-Kampagne (für einen
EU-Austritt) im Brexit-Wahlkampf 2016 stand und ihn auch nun wieder
berät. Johnson war vor dem Referendum das prominenteste Gesicht der
Brexit-Befürworter. Manch einer glaubt, ohne ihn hätte es das knappe
Votum der Briten zum Austritt nie gegeben.

Die Schuld, dass der Brexit noch immer nicht vollzogen ist, gibt
Johnson der Opposition und den Rebellen in seiner eigenen
konservativen Partei, die sich gegen die Drohung eines ungeregelten
EU-Austritts stemmten. Johnson stellte sich in der Auseinandersetzung
mit dem Parlament gerne als Vollstrecker des Volkswillens dar, der
von EU-freundlichen Eliten daran gehindert wird.

Dabei ist Alexander Boris de Pfeffel Johnson alles andere als ein
Mann des Volkes. In New York als Sohn eines erfolgreichen Beraters
für Umweltfragen geboren, war ihm schon als Kind klar, dass er für
Höheres bestimmt war. Auf die Frage, was er einmal werden wolle, habe
er mit «Weltkönig» geantwortet, sagte seine Schwester Rachel einmal.

Bestärkt haben dürfte ihn auch der Schulbesuch im Elite-Internat Eton
nahe London und das Geschichtsstudium an der renommierten Universität
Oxford.

Wenn auch nicht in einem Krieg, steckt Großbritannien doch in einer
handfesten Krise. Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte zwar einen
Brexit-Deal mit der EU ausgehandelt, doch sie konnte ihn nicht durch
das Parlament bringen. Vor allem wegen des Widerstands in ihrer
Partei - auch Johnsons. Am Ende war sie zum Rücktritt gezwungen.

Nun inszeniert sich Johnson als Retter in der Not, der das Land
wieder in geordnete Bahnen führen will. Sein Vorbild könnte dabei
Winston Churchill zu sein. Über den Kriegspremier veröffentlichte er
sogar eine Biografie und bekannte, es handele sich um den Helden
seiner Kindheit. «Er will als derjenige gesehen werden, der das Land
durch einen Blut-Schweiß-und-Tränen-Moment führt», wurde Johnson vo
n
dem belgischen Europaabgeordneten Philip Lamberts charakterisiert.

Dafür spricht seine Kriegsrhetorik: Politische Gegner bezichtigte
Johnson, der EU gegenüber «kapitulieren» zu wollen. Zum Teil
bezeichnete er seine Kritiker auch als Kollaborateure und Verräter,
weil sie einen Brexit ohne Abkommen ablehnten. Von dieser Wortwahl
wollte er auch nicht ablassen, als ihn eine Labour-Abgeordnete
beschuldigte, damit Drohungen und Gewalt gegen Parlamentarier zu
befördern. Das sei nichts als «Humbug», konterte Johnson.

Zweiter Churchill oder skrupelloser Selbstdarsteller? Wie die Briten
über Johnson urteilen, wird sich bei der Parlamentswahl am 12.
Dezember zeigen.