TV-Debatte im britischen Wahlkampf: Corbyn erhöht Druck auf Johnson

07.12.2019 14:43

Knapp eine Woche vor der Parlamentswahl läuft der Labour-Partei die
Zeit davon: Die Konservativen von Regierungschef Johnson führen in
Umfragen deutlich. Das letzte TV-Duell brachte wohl keine Wende.

Maidstone (dpa) - Beim letzten TV-Duell kurz vor der britischen
Parlamentswahl am 12. Dezember hat Oppositionschef Jeremy Corbyn den
Druck auf Premierminister Boris Johnson erhöht. Ein Durchbruch gelang
dem Labour-Chef bei der Debatte am Freitagabend aber nicht. Johnsons
Konservative führen in den Umfragen mit großem Abstand vor den
Sozialdemokraten. Weniger als eine Woche vor dem Wahltag läuft die
Zeit damit für Corbyn ab, das Ruder doch noch herumzureißen. Am
Samstag setzten beide Parteien ihre Wahlkampftour im Land fort.

Einer Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge
waren die Zuschauer gespalten in der Frage, wer die Debatte gewonnen
hat. 52 Prozent sahen Johnson als Sieger, für 48 Prozent schnitt
Corbyn besser ab. Die 1322 Befragten stuften aber den Labour-Chef
(48 Prozent) als vertrauenswürdiger ein als Johnson (38 Prozent).

Der Brexit, der marode staatliche Gesundheitsdienst NHS, die jüngste
Terrorattacke in London, Antisemitismus und Rassismus gehörten zu den
Themen in der Fernsehdebatte, die von der BBC übertragen wurde.

Johnson warf Corbyn Führungsversagen vor, weil dieser zu lasch gegen
antisemitische Tendenzen in seiner Partei vorgegangen sei. Der
Labour-Chef konterte, dass «kein Platz» für Antisemitismus in seiner

Partei sei und hielt Johnson umgehend rassistische Kommentare vor.
Der Tory-Politiker hatte in der Vergangenheit beispielsweise Frauen,
die Burkas tragen, mit Bankräubern verglichen.

Im Streit um den Brexit warf der Altlinke Corbyn dem Premierminister
einen Mangel an Offenheit vor. Das Versprechen des Regierungschefs,
mit seinem Deal das Gezerre um den EU-Austritt zu beenden, sei nicht
einzuhalten. Corbyn warnte vor langwierigen Verhandlungen über
Freihandelsabkommen mit den USA und der Europäischen Union. Johnson
wiederum warf in der von der BBC übertragenen Debatte dem Chef der
Sozialdemokraten vor, keine klare Haltung zum Brexit einzunehmen.

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon, deren Schottische
Nationalpartei SNP drittstärkste Kraft im Parlament werden dürfte,
sah gleich beide als Verlierer: «Das war ganz und gar erbärmlich.
Zwei Männer ohne Inspiration, beide ungeeignet, Premierminister zu
sein», schrieb sie im Kurznachrichtendienst Twitter.

Vor der Debatte hatten sich auch die beiden ehemaligen
Premierminister John Major (Konservative) und Tony Blair (Labour) zu
der Wahl geäußert. Beide riefen dazu auf, für Kandidaten zu stimmen,

die Johnsons Brexit-Deal ablehnen.

Johnson will das Land mit seinem neu verhandelten Austrittsabkommen
zum 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union führen. Dafür braucht

er eine stabile Mehrheit. Seine Vorgängerin Theresa May war mit ihrem
Abkommen drei Mal im Parlament gescheitert.

Corbyn will den Austritt dagegen noch einmal verschieben und
innerhalb von drei Monaten ein neues Abkommen mit Brüssel aushandeln.
Ihm schwebt ein Brexit mit sehr enger Bindung an die EU vor. Seinen
Deal will er den Briten in einem Referendum zur Abstimmung vorlegen -
mit dem Verbleib in der Staatengemeinschaft als Alternative. Corbyn
selbst will dabei neutral bleiben, wie er erst kürzlich bekanntgab.

Labour hat kaum Aussichten auf eine eigene Mehrheit und müsste darauf
hoffen, nach der Wahl mit Hilfe von kleineren Parteien eine
Minderheitsregierung bilden zu können.

Eine Woche nach dem tödlichen Anschlag an der London Bridge spielte
auch die Diskussion über vorzeitige Haftentlassungen eine Rolle.
Johnson forderte härtere Strafen für Gewalt- und Schwerverbrecher.
Corbyn kritisierte Kürzungen bei der Polizei und im Strafvollzug und
versprach Investitionen, um ähnliche Fälle künftig zu vermeiden.

Der Attentäter hatte am 29. November zwei Menschen erstochen und drei
verletzt, bevor er auf der Brücke im Herzen der Stadt von Zivilisten
überwältigt und von der Polizei erschossen wurde. Der wegen früherer

Anschlagspläne bereits verurteilte Terrorist war vor einem Jahr auf
Bewährung vorzeitig entlassen worden. Medienberichten zufolge wurde
er am Freitag im pakistanischen Teil Kaschmirs beigesetzt.