UN-Libyenbeauftragter fordert Abzug ausländischer Kämpfer

18.01.2020 18:10

Seit Jahren versinkt Libyen in Gewalt. Die Kämpfe werden inzwischen
auch von ausländischen Mächten wie den Vereinigten Arabischen
Emiraten und der Türkei am Köcheln gehalten. Ein Gipfel in Berlin
soll die Drahtzieher an einen Tisch bringen - und zu Zusagen bewegen.

Berlin (dpa) - Kurz vor der geplanten Libyen-Konferenz in Berlin hat
der UN-Sondergesandte für das Bürgerkriegsland, Ghassan Salamé, einen

Abzug ausländischer Kämpfer gefordert. «Wir haben einen
Sicherheitsplan vorgelegt, der den Abzug aller ausländischen Kämpfer
vorsieht, gleich welcher Nationalität», sagte Salamé in einem
Interview, das die arabische Zeitung «Al-Sharq al-Awsat» am Samstag
veröffentlichte. Er wolle ein Ende der ausländischen Einmischung in
den Konflikt. Anhänger des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar
blockierten derweil wichtige Häfen für die Ölproduktion in dem Land
und riefen damit international Kritik hervor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfängt am Sonntagnachmittag
Vertreter von Staaten, die Einfluss auf den Libyen-Konflikt haben.
Unter anderen werden der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan,
der russische Staatschef Wladimir Putin und US-Außenminister Mike
Pompeo erwartet. In Libyen konkurrieren Ministerpräsident Fajis
al-Sarradsch und Haftar um die Macht - nach Angaben von Außenminister
Heiko Maas werden sie in Berlin dabei sein.

In dem nordafrikanischen Land tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg, in
den sich immer mehr ausländische Akteure und Kämpfer eingeschaltet
haben. Die weitgehend machtlose Regierung in Tripolis unter
al-Sarradsch wird dabei von den Truppen Haftars bedrängt, der in
Ostlibyen seine wichtigste Machtbasis hat. Haftar und Verbündete
beherrschen auch dank ausländischer Hilfe weite Teile des Landes, die
Regierung nur kleine Gebiete rund um die Hauptstadt Tripolis. Beide
Seiten haben international unterschiedliche Unterstützer.

Europa hat erhebliches Interesse an Stabilität an der Südküste des
Mittelmeeres - auch weil Libyen traditionell ein wichtiger
Öllieferant der Europäischen Union ist. Das Land hat sich durch das
Kriegsgeschehen mit Willkürherrschaft und Schwäche der staatlichen
Institutionen in den vergangenen Jahren außerdem zu einem der
wichtigsten Transitstaaten für Flüchtlinge auf dem Weg Richtung
Norden entwickelt.

Bundeskanzlerin Merkel und Mohammed bin Said Al Nahjan, Kronprinz von
Abu Dhabi und stellvertretender Oberbefehlshaber der Streitkräfte der
Vereinigten Arabischen Emirate, riefen die Konfliktparteien vor der
Konferenz dazu auf, einen dauerhaften Waffenstillstand zu
vereinbaren. Wie der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert,
mitteilte, stimmten beide bei einem Treffen am Samstag in Berlin
überein, dass der Libyen-Konflikt nicht mit militärischen Mitteln
gelöst werden kann. Frieden und Stabilität in dem Land müssten auf
dem Verhandlungsweg erreicht werden. Das Treffen kam demnach vor dem
Hintergrund zustande, dass der Kronprinz nicht an der
Libyen-Konferenz teilnehmen kann. Er wird vom Außenminister der
Emirate vertreten.

Erdogan, der die international anerkannte Regierung von al-Sarradsch
stützt, warnte derweil: «Europa wird vor eine Reihe neuer Probleme
und Bedrohungen gestellt, falls Libyens legitime Regierung stürzt»,
schrieb er in einem Beitrag für das Magazin «Politico» (Samstag).
«Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS) und Al-Kaida, die
eine militärische Niederlage in Syrien und im Irak erlitten haben,
werden fruchtbaren Boden finden und wieder auf die Beine kommen»,
schrieb Erdogan. «Sollte der Konflikt weiter wüten, werden Gewalt und
Instabilität auch die ungeregelte Migration Richtung Europa
anheizen.»

Er bot sein Land als verlässlichen Partner an, mit dem Europa das
Ziel erreichen könnte, die Gewalt in dem Land zu beenden. «Wenn man
bedenkt, dass Europa weniger daran interessiert ist, Libyen
militärisch zu unterstützen, liegt es auf der Hand, mit der Türkei
zusammenzuarbeiten, die bereits militärische Hilfe zugesagt hat.»

Nach einem UN-Bericht, den Generalsekretär António Guterres an die
Mitglieder des UN-Sicherheitsrates geschickt hat und der auf den 15.
Januar datiert ist, sollen bei dem Treffen am Sonntag eine permanente
Feuerpause und eine konsequente Umsetzung des Waffenembargos für das
Bürgerkriegsland erreicht werden. Demnach ist der Entwurf des
Abschluss-Kommuniqués in sechs Bereiche unterteilt, die auch Reformen
in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit vorsehen. Zudem sollen
sich die Vertreter aus mehr als zehn Ländern für eine Rückkehr zu
einem politischen Prozess in Libyen und zur Einhaltung des
humanitären Völkerrechts sowie der Menschenrechte verpflichten.

Aus diplomatischen Kreisen in Paris verlautete, dass Frankreichs
Staatschef Emmanuel Macron bei der Konferenz eine aktive Rolle
spielen und Merkel bereits vor Beginn der Beratungen treffen wolle.
Macron setze sich dafür ein, dass die Konferenz ein Erfolg werde.

Die Gästeliste des Treffens sorgt seit Tagen für Unruhe. Zuerst
beschwerte sich Libyens Nachbar Tunesien, dass es nicht eingeladen
wurde, dann Griechenland. Die Bundesregierung wollte den
Teilnehmerkreis nicht zu groß ziehen und beschränkte sich bei den
Einladungen auf die Länder, die von außen auf den Konflikt einwirken,
zum Beispiel durch Waffenlieferungen oder die Entsendung von
Söldnern.

Mit Blick auf einen vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ins Spiel
gebrachten Militäreinsatz der Europäischen Union in Libyen sagte
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, zunächst müsse es
einen nachhaltigen Waffenstillstand geben. Wenn dieser vereinbart und
international abgesichert werden könne, «wird natürlich auch die
Frage kommen, wie soll das geschehen, wer soll absichern», sagte die
CDU-Chefin am Samstag zum Abschluss einer zweitägigen Klausur der
Parteispitze in Hamburg. Dass sich dann Deutschland «mit der Frage
auseinandersetzen muss, was können wir dazu einbringen, das ist
vollkommen normal».

Außenminister Maas sagte der «Bild am Sonntag» mit Blick auf Borrell:

«Mein Eindruck aus den Gesprächen der letzten Wochen ist bisher
nicht, dass es den Libyern vordringlich um eine internationale
Truppenpräsenz geht.» Gleichwohl wolle Deutschland auch nach der
Konferenz den politischen Prozess innerhalb Libyens weiter
unterstützen.