Baumversteher Wohlleben auf der Leinwand und bei der EU-Kommission Von Jens Albes, dpa

22.01.2020 08:00

Baumeltern mit Kindern, kuschelnde Bäume mit Schmerzen: Der Buchautor
Peter Wohlleben erklärt mit Bestsellern wie «Das geheime Leben der
Bäume» den Wald. Nun tut er das auch im Kino und auf politischer
Bühne. Kritiker werfen ihm Vereinfachungen und Verzerrungen vor.

Wershofen (dpa) - Ein Förster in der Eifel fängt an aufzuschreiben,
was er Waldbesuchern erzählt. Buch um Buch verfasst er. Peter
Wohllebens 16. Werk wird schließlich ein in viele Sprachen
übersetzter Weltbestseller: «Das geheime Leben der Bäume». An diese
m
Donnerstag (23. Januar) kommt es als gleichnamiger Film in die Kinos.

Der 55-Jährige, baumlang und bärtig, hat inzwischen sechs weitere
Bücher veröffentlicht. Vier Mal im Jahr erscheint seine Zeitschrift
«Wohllebens Welt». Bei einem Waldgipfel der Grünen hat er gesprochen,

bei der EU-Kommission in Brüssel ist er Anfang Februar eingeladen. In
den Rummel mischt sich aber auch Kritik: Wohlleben vereinfache und
verzerre die Wirklichkeit. Er weist diese Vorwürfe zurück.

Stürme, Hitze und Dürre infolge der Klimakrise schaden dem Wald und
bringen ihn in die Schlagzeilen. Das könnte das Interesse an
Wohllebens Erklärungen weiter anheizen. Laut dem Präsidenten der
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW), Hans-Georg
von der Marwitz, trifft er «den Nerv einer Zeit, in der viele
Menschen immer weniger Zugang zur Natur haben. In Zeiten der
Überforderung durch Digitalisierung und durch rasante technologische
Veränderungen verstärkt er die Sehnsucht nach einer heilen Welt.»

Wohllebens 96-minütiger Kinofilm entführt die Zuschauer hautnah in
die Natur im In- und Ausland. Unter der Regie von Jörg Adolph
(«Elternschule») begleitet die Kamera Wohlleben eineinhalb Jahre
lang. Er spricht in Talkshows und auf der Frankfurter Buchmesse,
reist zu einem der weltweit ältesten Bäume nach Schweden sowie nach
Kanada, wo Indianer gegen die Abholzung eines Waldes protestieren.
Wohlleben, der gern lacht, nennt die Dreharbeiten «eine verrückte
Erfahrung». Und sagt: «Es gab auch drei andere große Filmunternehmen,

die mein Buch «Das geheime Leben der Bäume» verfilmen wollten.»

Der 1,98-Meter-Mann mit Brille wollte nach eigenen Worten schon als
Sechsjähriger Naturschützer werden. 1992 übernimmt er in der Eifel
ein Revier im Dienste des Landes Rheinland-Pfalz. Er verausgabt sich,
gerät in Konflikt mit der konventionellen Forstwirtschaft, bekommt
einen Burnout, kündigt 2006, will mitsamt Familie erst nach Schweden
auswandern, wird dann aber Gemeindeförster ohne Korsett des Landes.

Er sei immer noch stellvertretender Revierleiter im Wald des
Eifeldorfs Wershofen, sagt Wohlleben. «Da wohne ich auch weiterhin in
einem alten Forsthaus.» Bei seiner Waldakademie in Wershofen sei er
inzwischen «finanziell völlig raus - sie wird von meinen zwei Kindern
und einer Forstkollegin betrieben». Der Bestseller-Förster bietet
hier aber auch noch Kurse mit eigenen Erklärungen an. Das Erscheinen
eines neuen eigenen Bandes zu Baumforschungen und ein weiteres
Kinderbuchs plant er nach eigenen Worten 2021.

Komplexe Zusammenhänge schildert er anschaulich in vermenschlichter
Form. So mahnt er in seinem Buch «Das geheime Leben der Bäume»: «We
r
weiß, dass Ba?ume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben und dass
Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben, der kann sie nicht mehr
so einfach fa?llen und mit Großmaschinen zwischen ihnen herumwüten.»

Besser sei es, traditionelle «Rückepferde» einzelne gefällte Stäm
me
bodenschonend zu den Forstwegen ziehen zu lassen.

Der Göttinger Forstprofessor Christian Ammer und sein Freiburger
Kollege Jürgen Bauhus halten Wohlleben zwar zugute, als
«ausgesprochen guter Geschichtenerzähler» das Interesse am Wald zu
steigern und auf dessen Verletzlichkeit hinzuweisen. Zugleich
kritisieren sie aber, er mache für die Bedrohung der Bäume nur die
Forstwirtschaft verantwortlich. «Die wahren Gefährdungen des Waldes
durch den Klimawandel, den Landschaftsverbrauch und die Zersiedlung,
durch eingeschleppte Schädlinge und Krankheiten sowie invasive Arten,
alles Faktoren welche die gesamte Gesellschaft mit ihrer Lebensweise
zu verantworten hat, werden geschickt ausgeblendet.»

Ammer und Bauhus zeigen sich betroffen, dass jemand «mit
Verzerrungen, Auslassungen und Halb- und Unwahrheiten einen so großen
Erfolg haben kann, nur, weil er Emotionen trifft und keiner
hinterfragt, ob das alles wirklich sein kann».

Auch Waldbesitzerpräsident von der Marwitz sieht den Wald bei
Wohlleben mythologisiert: «Er reduziert den Wald auf einen
Sehnsuchtsort. Die vielen Seiten des Waldes als Klimaschützer,
CO2-Senker, Sauerstoffproduzent, Erholungsort und Rohstoffproduzent
finden in seiner Erzählung nicht statt. Auch für die Waldbauern, die
mit und von der Natur leben, ist bei ihm kein Platz.»

Torben Halbe, Mitarbeiter des Deutschen Forstwirtschaftsrats und
Autor des Gegenbuchs «Das wahre Leben der Bäume», erklärt, der
Waldumbau zu klimastabileren Beständen mit mehr Laubbäumen sei teuer.
Ein Viertel von Deutschlands Wald gehöre «Kleinprivatwaldbesitzern»
mit weniger als 20 Hektar, die oft nicht viel investieren könnten,
«zumal der Holzpreis wegen der großen Schäden und des resultierenden

Überangebots zerfallen ist». Diese langfristige Investition werfe je
nach Baumart erst in mehr als 100 Jahren Rendite ab.

Wohlleben sagt zu den Vorwürfen: «Kritik der konservativen
Forstwissenschaft an mir hat es immer gegeben. Ich habe aber auch
schon Preise von Forstwissenschaftlern bekommen.» Es sei wie beim
Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat: «Es gibt keine einheitliche
Linie - die konservative Landwirtschaft findet es gut, die
ökologische Landwirtschaft nicht.»