Ungarn zahlt weiter Entschädigungen an Häftlinge

21.01.2020 17:33

Budapest (dpa) - Entgegen früheren Ankündigungen zahlt das ungarische
Justizministerium weiter Entschädigungen an Häftlinge, die diesen
wegen der unzureichenden Haftbedingungen in den Gefängnissen des
Landes zustehen. «Die Zahlungen sind von nun an in den einzelnen
Fällen bis zum letzten, vom Gesetz dafür vorgesehenen Zeitpunkt
auszusetzen», heißt es in einer Verordnung des Ministeriums, die das
Ungarische Amtsblatt am Dienstag veröffentlichte.

Viele Gefängnisse in Ungarn sind stark überfüllt. Insassen leben auf

weniger Platz, als ihnen aufgrund europäischer Vereinbarungen, aber
auch ungarischer Gesetze zustehen würde. Entschädigungsklagen haben
deshalb in der Regel gute Aussichten auf Erfolg.

Der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban hatte zu
Jahresbeginn angkündigt, dass er Schritte prüfen lassen wolle, um
Entschädigungszahlungen an Häftlinge grundsätzlich abzuschaffen. Der

Staatssekretär im Ministerpräsidentenkabinett, Bence Tuzson, erklärte

in der Vorwoche, dass der Staat derartige Zahlungen bereits
eingestellt habe. 

Die Verordnung bedeute, dass das Ministerium weiter zahlen werde, und
zwar am Ende der gesetzlichen Frist, sagte der Menschenrechtsanwalt
Daniel Karsai dem Portal «index.hu». «Das war aber schon bisher die
Praxis», fügte er hinzu. 

Orban hatte beklagt, dass der ungarische Staat 12 000 derartiger
Verfahren verloren und Euro-Millionen an Entschädigungen zahlen
musste. Rechtsanwälte und Zivilorganisationen hätten darauf ein
«Geschäftsmodell» begründet, das es zu zerschlagen gelte.

Orban und seine Regierung loten immer wieder die Grenzen des
Rechtsstaats aus und überschreiten sie nach Ansicht von Kritikern.
Gegen Ungarn läuft in der EU wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die

Rechtsstaatlichkeit ein Grundwerteverfahren. Theoretisch kann dieses
mit dem Verlust der Stimmrechte in der EU enden.