«Durchstarten» nach der Krise - Koalition arbeitet an Konjunkturpaket von dpa-Korrespondenten

02.04.2020 16:28

Dass Europas größte Volkswirtschaft auf eine tiefe Rezession
zusteuert, ist unter Ökonomen ausgemacht - nur das Ausmaß ist
strittig. Der Ansturm auf Soforthilfen ist riesig. Und die
Bundesregierung lotet bereits weitere Milliardenhilfen aus.

Berlin/Frankfurt/Main (dpa) - Die Bundesregierung will nach
überstandener Corona-Krise und einem Einbruch der Wirtschaft mit
einem weiteren Konjunkturprogramm die Weichen für einen raschen
Wiederaufschwung stellen. «Wir wollen sicherstellen, dass - wenn wir
die Gesundheitskrise bewältigt haben, wenn wir die Arbeitsplätze, die
Unternehmen gesichert haben, wenn es wieder aufwärts geht - das auch
unterstützt wird mit konjunkturellen Maßnahmen», sagte Finanzminister

Olaf Scholz am Donnerstag. Nach den Worten von Kabinettskollege Peter
Altmaier soll die Wirtschaft nach der Pandemie wieder «durchstarten».

Auch die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit einem Einbruch
der Konjunktur - und damit nach zehn Aufschwungjahren erstmals wieder
mit einer Rezession. Die Einschnitte würden mindestens so stark, wenn
nicht stärker als im Krisenjahr 2009, sagte Altmaier. Damals war das
Bruttoinlandsprodukt um 5,7 Prozent gesunken. Schon jetzt verzeichnen
Bund und Ländern einen Ansturm auf Soforthilfen. Erste Finanzspritzen
in Milliardenhöhe wurden ausgezahlt. Die EU-Kommission will sich für
ihr Kurzarbeitmodell weitere 100 Milliarden Euro am Markt leihen.

«MÜSSEN MIT TIEFEN EINSCHNITTEN RECHNEN»

«Wir müssen mit tiefen Einschnitten beim Wirtschaftswachstum
rechnen», sagte Wirtschaftsminister Altmaier. Eine Prognose für 2020
gab der CDU-Politiker nicht ab. Es sei davon auszugehen, dass die
Wirtschaft in einzelnen Monaten mehr als 8 Prozent einbrechen könne.
Der Höhepunkt der Krise werde wohl im April und Mai sein. Es gebe
Hoffnung, dass sich die Lage im zweiten Halbjahr normalisiere.
Voraussetzung dafür sei, dass die erheblichen Einschränkungen in
«hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft» aufgehoben werden könnten.

IMK-Forscher rechnen 2020 im Jahresschnitt mit einem Rückgang der
Wirtschaftsleistung um 4,0 Prozent. Diese «optimistische Erwartung»
sei nur möglich, wenn die Beschränkungen ab Anfang Mai gelockert
werden. Die «Wirtschaftsweisen» halten eine schnelle Erholung für
wahrscheinlich. Im Basisszenario rechnen sie damit, dass die größte
Volkswirtschaft Europas 2020 um 2,8 Prozent schrumpft. Im schlimmeren
Fall sei ein Minus von 5,4 Prozent denkbar.

NACH DER KRISE «DURCHSTARTEN» - INVESTIEREN UND KONSUMIEREN

Beim Nach-Krisen-Programm muss es laut Scholz eine Politik geben, «in
der hohe Investitionen eine Rolle spielen und in der der Sozialstaat
ausgebaut und nicht zurückgebaut» werde. Er sieht auch Unternehmen in
der Pflicht. Die Firmen, die jetzt vom Staat unterstützt würden,
dürften diese Solidarität nicht vergessen, so der SPD-Politiker. Das
gewerkschaftsnahe IMK fordert eine Aufstockung von Kurzarbeitergeld
und Arbeitslosengeld. «Es wird extrem wichtig sein, die Wirtschaft so
schnell wie möglich wieder auf Touren zu bringen», sagte der
wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und
Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien. Der Privatkonsum sei
als zentrale Starthilfe für den Konjunkturmotor entscheidend: «Die
Menschen sollten also Geld in der Tasche haben, wenn die Läden wieder
öffnen.»

GEWALTIGE NACHFRAGE NACH KREDITPROGRAMM

Die Nachfrage nach dem Kreditprogramm des Bundes ist nach Angaben der
staatlichen Förderbank KfW gewaltig. 2500 Anträge mit 10,6 Milliarden
Euro Gesamtvolumen hat das Institut nach Angaben von KfW-Chef Günther
Bräunig bisher entgegengenommen. In den meisten Fällen geht es um
Kredite bis zu drei Millionen Euro, für die vereinfachte Bedingungen
gelten. Knapp 2100 Anträge seien schon bewilligt, 750 Millionen Euro
zugesagt. Der KfW-Vorstand hält es derzeit für wahrscheinlich, dass
im Rahmen des bis zum Ende dieses Jahres laufenden Sonderprogramms
Kredite um die 50 Milliarden Euro zugesagt werden. Auch eine Summe
bis 100 Milliarden Euro könne nicht ausgeschlossen werden.

Seit dem 23. März können Firmen Mittel aus dem KfW-Sonderprogramm bei
ihrer Hausbank beantragen. Die staatliche Förderbank - und damit die
öffentliche Hand - übernimmt den Großteil des Risikos für den Fall,

dass Unternehmer das Geld nicht zurückzahlen können. Bei
Betriebsmittelkrediten und Investitionen kleiner und mittlerer
Unternehmen trägt die KfW 90 Prozent des Kreditrisikos. Bei größeren

Firmen sind es 80 Prozent. Für Kredite bis drei Millionen Euro pro
Unternehmen verzichtet die KfW auf eine eigene Risikoprüfung. Bei
Summen bis zehn Millionen Euro gibt es eine vereinfachte Prüfung.

Aus der Wirtschaft wurden wiederholt Klagen laut, die Gelder kämen
nicht schnell genug bei Unternehmen an. Zudem gibt es Forderungen,
die Bundesregierung solle die Hilfskredite zu 100 Prozent absichern.

LÄNDER MIT ANTRAGSFLUT VON SELBSTSTÄNDIGEN UND KLEINUNTERNEHMERN

In zehn Bundesländern wurden bis Dienstagabend mehr als 118 000
Anträge auf Soforthilfe von Selbstständigen und Kleinunternehmern
bewilligt, wie eine Länderumfrage ergab. Hinzu kamen noch 300 000
Anträge, die allein in Nordrhein-Westfalen bis Donnerstagvormittag
bewilligt wurden. Mindestens vier Milliarden Euro flossen bis
Donnerstag an in Not geratene Firmen. In dreizehn Ländern summierte
sich die Zahl der bei den Landesförderbanken eingegangenen Anträge
auf mehr als 964 000. Nach ersten Meldungen zeichnete sich ab, dass
besonders Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern sowie
Solo-Selbstständige und Freiberufler die Hilfen in Anspruch nehmen.

Seit Montag können Länder Bundesmittel abrufen, um Zuschüsse für
kleine Firmen und Selbstständige unbürokratisch auszuzahlen. Firmen
mit bis zu fünf Beschäftigten bekommen eine Einmalzahlung von 9000
Euro für drei Monate, Firmen mit bis zu zehn Beschäftigten 15 000
Euro. Darüber hinaus gibt es in jedem Bundesland eigene Regeln.

EU-PLAN FÜR KURZARBEITER

Die EU-Kommission will mit Rückendeckung der EU-Staaten 100
Milliarden Euro Schulden aufnehmen und sie in Form von Krediten für
Kurzarbeiterhilfen weiter geben. Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen versprach zudem weitere Unterstützung für das
Gesundheitswesen, für Fischer und für sozial benachteiligte Menschen.
Darüber hinaus will sie das nächste mehrjährige EU-Budget zum
«Marshall-Plan» für Europa umbauen. «In dieser Coronavirus-Krise
werden nur die stärksten Antworten ausreichen», sagte von der Leyen.
Schon jetzt hätten die EU und ihre Mitgliedsstaaten 2,7 Billionen
Euro gegen die Pandemiekrise mobilisiert. Für ihre neuen Vorschläge
braucht von der Leyen die Zustimmung der EU-Staaten und des
Parlaments. Gemeinsame Schulden sind politisch ein heißes Eisen.