Brüssel plant neue Krisen-Hilfen - Streit über Corona-Bonds bleibt

02.04.2020 18:06

Mehr als 2,7 Billionen Euro haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten
schon gegen die Corona-Wirtschaftskrise mobilisiert. Jetzt legt die
EU-Kommission nach. Doch der Grundsatzstreit geht weiter.

Brüssel (dpa) - In der Corona-Krise stellt EU-Kommissionschefin
Ursula von der Leyen neue Milliarden-Hilfen in Aussicht. So will die
Kommission 100 Milliarden Euro Schulden aufnehmen und sie als Kredite
zur Finanzierung von Kurzarbeit an EU-Länder weiterreichen. Zudem
sollen die letzten Reserven aus dem laufenden EU-Haushalt aktiviert
werden, wie von der Leyen am Donnerstag sagte. Die Auswahl an
Instrumenten gegen die Wirtschaftskrise wächst damit. Im Streit über
sogenannte Corona-Bonds ist aber keine Lösung in Sicht.

Von der Leyen erinnerte bei der Vorstellung ihrer neuen Vorschläge in
Brüssel daran, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten schon etliche
Register gezogen haben. So wurden die Defizit- und Schuldenregeln
außer Kraft gesetzt und die Beihilferegeln gelockert. Die Europäische
Zentralbank habe Ankaufprogramme gestartet, die Europäische
Investitionsbank eine Kreditinitiative für den Mittelstand. «All dies
geschah in Rekordzeit», sagte von der Leyen.

Schon jetzt hätten die EU und ihre Mitgliedsstaaten 2,7 Billionen
Euro gegen die Pandemiekrise mobilisiert. Nun gehe man den nächsten
Schritt, betonte von der Leyen. Sie braucht allerdings für ihre neuen
Vorschläge noch die Zustimmung der EU-Staaten und des
Europaparlaments.

DAS KONZEPT «SURE» FÜR KURZARBEITER

Zentraler Punkt in von der Leyens Liste von Vorschlägen ist «Sure»,
die Unterstützung für Kurzarbeiterprogramme in den EU-Staaten. Das
Modell soll so funktionieren: EU-Staaten geben verbindliche Garantien
in Höhe von 25 Milliarden Euro ab, mit dieser Rückendeckung leiht
sich die Kommission zu günstigen Konditionen 100 Milliarden Euro an
den Finanzmärkten und gibt die Kredite an EU-Staaten weiter, die sich
an den Märkten womöglich selbst nicht mehr so günstig finanzieren
können.

EU-Beamte stellten klar, dass es sich nicht um Corona-Bonds handelt -
also gemeinsame europäische Anleihen zur Finanzierung von
Staatshaushalten. Bei der Aufnahme von Krediten für «Sure» liegt der

Fall demnach anders, weil Umfang, Zweck und Zeit begrenzt sind.

DIE LETZTEN MILLIARDEN AUS DEM EU-HAUSHALT

Über dieses kreditfinanzierte Instrument hinaus will von der Leyen
alles verbliebene Geld aus dem laufenden EU-Haushalt für Krisenhilfen
mobilisieren. 2020 ist das letzte Jahr des siebenjährigen
Finanzplans, der weitgehend ausgeschöpft ist. Doch bleiben nach
Angaben von EU-Beamten noch 50 bis 60 Milliarden Euro aus
Strukturfonds. Diese sollen von den EU-Staaten flexibel eingesetzt
werden können.

Bei den milliardenschweren Strukturfonds soll vorübergehend auf
nationale Ko-Finanzierung verzichtet werden. Drei Milliarden Euro aus
diversen EU-Kassen sollen direkt für Hilfen an die Gesundheitssysteme
fließen, auch um nötige Schutzausrüstung und Geräte weiter
aufzustocken. Von dieser Summe sind 300 Millionen Euro für einen
gemeinsamen Vorrat an medizinischem Gerät dienen.

WEITERE SCHRITTE SOLLEN FOLGEN

Aus dem europäischen Fischereifonds soll Geld für Fischer und
Aquakulturen fließen, die wegen der Krise nicht oder weniger arbeiten
können. Die ärmsten Europäer sollen aus einem speziellen
EU-Hilfsfonds mit elektronischen Gutscheinen unterstützt werden. Von
der Leyen betonte, gefordert seien in der Krise kräftige Antworten.
«Wir müssen jedes zur Verfügung stehende Mittel nutzen.» Weitere
Schritte würden folgen.

Allerdings haben sich die EU-Staaten über die Grundsatzfrage
zerstritten, wie besonders betroffenen und hoch verschuldeten
Mitgliedern noch geholfen werden könnte. Italien, Spanien, Frankreich
und andere Länder fordern die Einführung von Corona-Bonds -
Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich sind strikt
dagegen. Die Eurogruppe sucht im Auftrag der Staats- und
Regierungschefs bis Dienstag einen Kompromiss, doch der ist nicht in
Sicht. Nun werden immer neue Varianten ins Gespräch gebracht.

RETTUNGSFONDS ODER SPENDENTOPF?

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire pocht darauf, neben
bestehenden europäischen Einrichtungen wie dem Eurorettungsfonds ESM
und der Europäischen Investitionsbank EIB einen neuen Rettungsfonds
zu gründen. Dieser soll befristet sein, Anleihen herausgeben können
und von der EU-Kommission gemanagt werden. Für dieses Konzept wirbt
Le Maire bei Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). «Unsere
Standpunkte nähern sich immer weiter an», sagte Le Maire. Bisher
lehnt Scholz gemeinsame europäische Anleihen aber ab.

Die Niederlande wollen nach einem Bericht des «Algemeen Dagblad»
dagegen einen Hilfsfonds, aus dem direkt Zuschüsse an hilfsbedürftige
Länder fließen könnten - also ohne gemeinsame Kreditaufnahme. Dafür

wolle Den Haag eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen.
Ministerpräsident Mark Rutte sagte dem Sender NOS, insgesamt könnten
wohl zehn bis 20 Milliarden Euro zusammenkommen. Die einzelnen Länder
sollten je nach ihren Möglichkeiten Beiträge leisten.

Die Niederlande stehen ebenso wie Deutschland in der Kritik. Ihnen
wird unter anderem in Italien unsolidarisches Verhalten vorgeworfen.
In der aufgeheizten Debatte rief der ehemalige italienische Premier
Mario Monti zur Mäßigung auf: «Der Süden muss aufhören, zu denken
,
dass Solidarität unser Recht und die Pflicht der anderen ist. Im
Norden müsste man begreifen, dass teure Gesten der Solidarität auch
im Interesse des eigenen Landes sind.»