Europäische Krisenhilfen: Centeno erwartet Drei-Säulen-Modell

03.04.2020 21:19

Die Corona-Pandemie stürzt viele europäische Staaten in die
Rezession. Wie kann die EU gemeinsam gegensteuern? Nach heftigem
Streit scheint man sich wieder anzunähern.

Berlin/Brüssel (dpa) - Trotz des bitteren Streits über Corona-Bonds
bahnt sich ein erster Kompromiss über europäische Finanzhilfen in der
Wirtschaftskrise an. Eurogruppen-Chef Mário Centeno sagte der
«Süddeutschen Zeitung» (Samstag), er sehe «breite Unterstützung
» für
ein Paket aus drei Teilen. «Diese drei Maßnahmen bilden ein
Sicherheitsnetz von etwa einer halben Billion Euro.» Die Streitfrage
gemeinsamer europäischer Schulden würde somit aufgeschoben bis zur
«Wiederaufbau-Phase».

Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach sich für ein solches
Drei-Säulen-Modell aus. «Wenn wir diese drei Instrumente einsetzen,
wäre das ein ganz starkes Signal der Solidarität in Europa im Kampf
gegen das Coronavirus», sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der
Funke Mediengruppe.

Die EU-Staaten hatten sich bei einem Videogipfel vorige Woche über
die Frage zerstritten, ob Corona-Bonds - also gemeinsame europäische
Anleihen zur Finanzierung der EU-Staaten - in der Krise nötig sind.
Italien, Spanien und andere wollen sie, Deutschland, die Niederlande
sind dagegen. Die EU-Finanzminister sollen bis Dienstag neue Modelle
entwickeln.

Centeno und Scholz nannten als Teile des Pakets: vorsorgliche
Kreditlinien des Euro-Rettungsschirms ESM, Bürgschaften der
Europäischen Investitionsbank EIB und das von der EU-Kommission
vorgeschlagene Programm zur Unterstützung von
Kurzarbeitergeld-Modellen. Die Debatte über Vergemeinschaftung von
Schulden will Centeno wieder aufgreifen, wenn es um Hilfspakete für
die Zeit nach der Pandemie geht.

Er sagte der «SZ», nach der Krise hätten alle Länder absehbar viel

mehr Schulden. Es dürften keine Hürden für die Kreditaufnahme
entstehen, und die Zinsbelastung müsse niedrig bleiben: «Ein Weg, um
die Belastung aus dieser Krise zu mindern, wäre die gemeinsame
Ausgabe von Schulden, wie es einige Regierungen vorgeschlagen haben.»
Die Debatte über Hilfsprogramme nach der Pandemie «beginnt nun und
muss weitergehen», sagte der portugiesische Finanzminister.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plädierte in der
ZDF-Sendung «Was nun?» für Hilfen, die kurzfristig verfügbar und
konsensfähig sind: «In der Tat müssen wir alle die Instrumente jetzt

auf den Tisch legen, die wirksam sind, die wir schnell einsetzen
können und die Europa einen und nicht spalten.» Die Details müsse die

Eurogruppe klären.

Frankreich und Deutschland stehen damit gemeinsam hinter dem Programm
mit den drei genannten Pfeilern. Die vorsorglichen Kreditlinien des
ESM könnten schwer getroffenen Eurostaaten wie Italien helfen.
Mitgliedstaaten könnten sich damit eine Summe «leihen, die zwei
Prozent ihrer Wirtschaftsleistung entspricht», sagte Scholz den
Funke-Blättern. «Für Italien wären das etwa 39 Milliarden Euro.»


Zum anderen schlägt die Europäische Investitionsbank (EIB) einer
Pressemitteilung vom Freitagabend zufolge einen Garantiefonds mit 25
Milliarden Euro vor, mit dem Unterstützung in Höhe von 200 Milliarden
Euro für Firmen in allen 27 EU-Staaten mobilisiert werden könnte.

Drittes Element sind die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Hilfen
von bis zu 100 Milliarden Euro für Kurzarbeit in den EU-Staaten - das
Konzept «Sure». Von der Leyen warb im ZDF-Interview für «Sure», d
as
sei ein «einigender Vorschlag»: «Das ist gelebte europäische
Solidarität.» Das Konzept sieht vor, dass die EU-Staaten Garantien
über 25 Milliarden Euro zusagen. Mit dieser Rückendeckung will die
EU-Kommission 100 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufnehmen und als
Kredite an jene Staaten weitergeben, die sich selbst nicht so günstig
finanzieren könnten.

EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis sprach sich am Freitag
für eine Nutzung des ESM aus. Auf eine Frage nach Corona-Bonds sagte
Dombrovskis in einem Live-Chat: «Wir prüfen alle politischen
Möglichkeiten.» Er betonte jedoch, dass vor allem dem nächsten
europäischen Haushaltsrahmen besondere Bedeutung zukomme. «Das wird
unser Marshall-Plan, um die Erholung zu finanzieren.»

Der italienische Regierungschef Giuseppe Conte beharrt auf
gemeinsamen europäischen Bonds und spricht nun von «Europäischen
Wiederaufbau-Anleihen». In einem italienischen Text für die Zeitung
«La Repubblica» benutzte er das englische Wort «European Recovery
Bonds». Der Begriff «Corona-Bonds» fiel nicht. Kritiker der Bonds
aführen auch an, dass ihre Einführung einen langen Vorlauf hätte.