EU-Kommissar Gentiloni in Corona-Krise für gemeinsame Anleihen

04.04.2020 16:38

Italien leidet unter den Folgen der Corona-Pandemie. Das Land ruft -
wie auch Spanien - nach einer gemeinsamen europäischen Antwort auf
die einbrechende Konjunktur. Nun mehren sich die Stimmen der
Unterstützer.

Brüssel/Berlin (dpa) - In der Debatte über europäische Corona-Bonds
zur Bewältigung der finanziellen Folgen der Corona-Krise hat sich
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni für gemeinsame Anleihen der
EU-Mitglieder ausgesprochen. «Wir brauchen ein europäisches
Konjunkturprogramm und das sollte durch die Ausgabe von Anleihen
finanziert werden», sagte Gentiloni der Zeitung «Die Welt» (Samstag).

«Die Ausgabe von Anleihen soll zweckgebunden sein und eine einmalige
Maßnahme in außergewöhnlichen Umständen. Ich denke, Deutschland und

andere nordeuropäische Länder können das akzeptieren.»

Die EU-Staaten hatten sich bei einem Videogipfel vorige Woche über
die Frage zerstritten, ob Corona-Bonds - also gemeinsame europäische
Anleihen zur Finanzierung der EU-Staaten - in der Krise nötig sind.
Italien, Spanien und andere wollen sie, Länder wie Deutschland und
die Niederlande sind dagegen. Die EU-Finanzminister sollen bis
Dienstag neue Modelle entwickeln.

«Die Botschaft nach Nordeuropa lautet aber: Wir reden nicht über die
Vergemeinschaftung von Schulden», sagte der Italiener Gentiloni.
«Jetzt geht es um gemeinsame Schulden im Kampf gegen das Coronavirus
und seine Folgen, nicht um die Schulden der vergangenen 30 Jahre.»
Auch der aus Spanien stammende EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warb
für diese Lösung. Europa habe die Mittel, um solidarisch zu handeln,
schrieb Borrell in einem Beitrag für die französische Zeitung «Le
Monde». «Und dafür müssen wir Kreativität und Pragmatismus beweis
en,
sonst werden sich die am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen
fragen, wofür Europa steht, wenn es nicht in der Lage ist, Antworten
auf ihre lebenswichtigen Anliegen zu geben.»

Zuletzt hatte sich ein Kompromiss angebahnt, der ein Paket aus drei
Teilen vorsieht: vorsorgliche Kreditlinien des Euro-Rettungsschirms
ESM, Bürgschaften der Europäischen Investitionsbank EIB und das von
der EU-Kommission vorgeschlagene Programm zur Unterstützung von
Kurzarbeitergeld-Modellen. Dieser Plan hat auch die Unterstützung von
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der Corona-Bonds ablehnt.

Das von der Corona-Krise schwer getroffene Italien beharrt allerdings
auf Bonds. «Die gemeinsame europäische Antwort ist nur angemessen,
wenn sie die gemeinsame Ausgabe europäischer Bonds beinhaltet, um die
nationalen Coronavirus-Notfallpläne zu finanzieren», betonte
Finanzminister Roberto Gualtieri am Freitagabend.

Unterstützung erhielt er von Altkanzler Gerhard Schröder. Deutschland
sei in dieser Frage zu zurückhaltend, sagte der SPD-Politiker der
«Hannoverschen Allgemeinen Zeitung» (Samstag). «Niemand kann ein
Interesse daran haben, dass etwa Italien oder Spanien an dieser
Seuche wirtschaftlich kaputtgehen.»

Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann
signalisierte Zustimmung. Der Appell des italienischen
Ministerpräsidenten Giuseppe Conte um Hilfe aus Deutschland habe ihn
sehr berührt, sagte der Grünen-Politiker der «Süddeutschen Zeitung
»
(Samstag). Es sei nicht die Zeit, alte Schuldendebatten noch einmal
zu führen. Wenn jetzt ein EU-Gründungsland durch das Virus in
schweres Fahrwasser gerate, müsse ganz anders gedacht werden.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble lehnt Corona-Bonds indes ab.
«Die notwendige Debatte auf ein Instrument zu reduzieren, ist wenig
zielführend, vor allem wenn da nur aus Rechthaberei ein alter Streit
wiederbelebt werden sollte», sagte der ehemalige Finanzminister «Zeit
online». Auch in der Krise müsse derjenige, der Entscheidungen
treffe, für die möglichen Folgen aufkommen. «Das wäre bei
gemeinschaftlichen Schulden nicht mehr der Fall. Durch Corona-Bonds
würde Europa nicht stärker, sondern schwächer», sagte Schäuble.


Der Chef der «Wirtschaftsweisen», Lars Feld, stellte sich ebenfalls
hinter Finanzminister Scholz. «Die gesamtschuldnerische Haftung
bedeutet ein hohes finanzpolitisches Risiko für jeden einzelnen
Mitgliedstaat. Das darf keinesfalls passieren», sagte der Vorsitzende
des Sachverständigenrats der «Rheinischen Post» (Samstag). Nicht
einmal in Deutschland gebe es diese Haftung zwischen Bund und
Ländern.