Drei Säulen und ein Zankapfel: Was die EU an Krisenhilfen debattiert Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

06.04.2020 15:54

Was kann die EU gemeinsam gegen die Wirtschaftskrise tun? Die
EU-Staats- und Regierungschefs konnten sich nicht einigen, jetzt
müssen die Finanzminister Kompromisse schmieden. Eine Frage aber
bleibt umstritten.

Brüssel (dpa) - Die Pandemie erschüttert die europäische Wirtschaft -

einige Vorhersagen muten geradezu apokalyptisch an. Doch zerrt die
Corona-Krise auch am politischen Zusammenhalt der Europäischen Union.
Entnervt und unter beispiellosem finanziellen Druck fordern die
südlichen EU-Staaten lautstark Solidarität von den nördlichen
Partnern, vor allem von Deutschland.

Nach bitterem Streit in den vergangenen zehn Tagen scheinen sich die
Gemüter nun etwas zu beruhigen. Im Kreis der EU-Finanzminister bahnt
sich ein erster Kompromiss an, der bei einer Schaltkonferenz an
diesem Dienstag abgesegnet werden könnte. Was auf dem Tisch liegt,
wäre allerdings nur ein Zwischenschritt - die wichtigste Streitfrage
ist offen: Werden die EU-Länder künftig gemeinsam Schulden aufnehmen?
Ein Überblick über das Wahrscheinliche und das Mögliche:

KREDITLINIEN DES ESM

Über die noch vor zehn Tagen umstrittene Nutzung des Europäischen
Stabilitätsmechanismus ESM herrscht inzwischen weitgehend Einigkeit.
Der ESM wurde 2012 in der Eurokrise gegründet und half unter anderem
bei der Rettung Griechenlands. Aus der Zeit stammt aber auch sein
schlechter Ruf bei einigen Südländern. Denn als Gegenleistung für
Hilfskredite wurden umfassende Strukturreformen und Sparprogramme
gefordert. Anders diesmal: Zur Debatte steht eine vorsorgliche
Kreditlinie - im Fachjargon ECCL - für alle Eurostaaten. Damit wären
diesmal keine Sparauflagen verknüpft, sondern nur die Bedingung, dass
das Geld direkt in die Krisenbewältigung fließt. Der ESM nimmt das
Geld übrigens über Anleihen am Kapitalmarkt auf und reicht es zu
günstigen Konditionen weiter an die Mitgliedsstaaten. Nach eigenen
Angaben könnte der ESM 410 Milliarden Euro verleihen.

EIN GARANTIEFONDS BEI DER EIB

Die Europäische Investitionsbank EIB hat einen sogenannten
Paneuropäischen Garantiefonds ins Gespräch gebracht, der in den
Beratungen der EU-Finanzminister ebenfalls gute Chancen hat.
Funktionieren soll das so: Die EU-Staaten - sie sind die
Anteilseigner der EIB - zahlen entsprechend ihrer Größe anteilig 25
Milliarden Euro in den Garantiefonds ein. Das Geld dient zur
Absicherung von Krediten der Investitionsbank an kleine und mittlere
Unternehmen in den EU-Staaten. Die Garantiesumme würde nach
Einschätzung der EIB reichen, um 200 Milliarden Euro an Liquidität
für Unternehmen zum mobilisieren. Anders als die ESM-Kreditlinien,
die nur den 19 Eurostaaten offen stünden, wäre das ein Angebot an
alle 27 EU-Staaten.

DIE EUROPÄISCHE KURZARBEITER-HILFE «SURE»

Das Konzept «Sure» von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wird
wohl das dritte Element kurzfristig verfügbarer Finanzhilfen. Von der
Leyen will Kurzarbeitergeld in den EU-Staaten unterstützen. Das sind
Lohnzuschüsse für Firmen, die in der Krise trotz Auftragsmangels ihre
Mitarbeiter nicht entlasse. Das gibt es nach Angaben der
EU-Kommission in allen 27 EU-Staaten. Von der Leyens Vorschlag: Die
EU-Staaten hinterlegen - wiederum anteilig nach ihrer Größe und
Wirtschaftskraft - unwiderrufliche Garantien in Höhe von 25
Milliarden Euro. Mit dieser Rückendeckung nimmt die EU-Kommission bis
zu 100 Milliarden Euro zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt auf
und reicht es nach Bedarf für Kurzarbeit an die EU-Staaten weiter.
Angenommen wird dabei, dass vor allem die Länder zugreifen würden,
die selbst an den Finanzmärkten mehr Zinsen zahlen müssten. Für
Deutschland würde dies voraussichtlich nicht gelten, es müsste aber
Garantien beisteuern. «Sure» könnte also in gewissem Rahmen bereits
Geld in der EU umverteilen.

CORONA-BONDS ODER RECOVERY BONDS

Die Idee ist äußerst umstritten: Mit den fest verzinsten Wertpapiere
würden EU-Staaten sich gemeinsam Geld an Finanzmärkten leihen, das
direkt in die jeweiligen Haushalte flösse. Für Zinsen und Rückzahlung

würden alle gemeinsam haften. Hoch verschuldete Staaten könnten auf
diesem Weg zu günstigeren Konditionen an frisches Geld am
Kapitalmarkt kommen. Denn die Bonität der Gemeinschaftsanleihen wäre
deutlich besser, wenn zum Beispiel wirtschaftlich starke Länder wie
Deutschland mithaften. Die Befürworter, allen voran die Südländer
Italien und Spanien, sehen darin wichtiges ein Zeichen der
Solidarität. Länder wie Deutschland fürchten indes, über Jahre fü
r
bereits hoch verschuldete Staaten wie Italien mithaften zu müssen.
Dauerhafte Gemeinschaftsanleihen - Euro-Bonds - waren in der
Euro-Schuldenkrise hoch umstritten.

Debattiert werden nun etliche Varianten, darunter auch eine enge
zeitliche Befristung und Fokussierung nur auf die Corona-Krise. «Es
geht um ein einmaliges Kriseninstrument», argumentiert Michael
Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen
Wirtschaft. Gemeinschaftsanleihen für befristete Zeit hatte es auch
schon der Vergangenheit gegeben. Darauf läuft auch ein Vorschlag der
französischen Regierung hinaus. Kritiker befürchten dagegen, dass die
gemeinsamen Bonds zur Dauereinrichtung werden. «Es wird in der
Währungsunion immer Probleme geben, die sich angeblich nur mit
gemeinsamen Schulden lösen lassen», argumentiert
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Als Kompromisslinie ist bei den EU-Finanzministern im Gespräch, sich
zunächst auf die drei rasch verfügbaren Instrumente zu einigen - ESM,
EIB und Sure - und sich weitere Maßnahmen für die nächsten Wochen und

Monate vorzubehalten. Ob, wann und wie die Gemeinschaftsanleihen Teil
des Pakets werden, bliebe damit zunächst offen.