EU-Staaten beraten Hilfen in der Corona-Krise - Kompromiss wackelt

07.04.2020 12:43

Vor einer Sitzung der EU-Finanzminister schien ein Kompromiss schon
fast eingetütet, darunter mögliche Kredite des Eurorettungsschirms
ESM. Doch nun werden wieder Bedenken in Italien, Frankreich und den
Niederlanden laut.

Brüssel (dpa) - Im Streit über europäische Hilfen gegen die
Corona-Wirtschaftskrise haben Äußerungen des italienischen
Ministerpräsidenten Giuseppe Conte die Hoffnung auf eine rasche
Einigung gedämpft. Vor Beratungen der EU-Finanzminister am
Dienstagnachmittag nannte Conte Kredite des Eurorettungsschirms ESM
«absolut unzureichend» und beharrte auf Eurobonds, also gemeinsamen
europäischen Schuldtiteln. Solche Gemeinschaftsanleihen treffen aber
weiter auf Widerstand Deutschlands und anderer Länder.

An Italien und Spanien war bereits eine Einigung der EU-Staats- und
Regierungschefs Ende März gescheitert. Die Finanzminister erhielten
den Auftrag, neue Modelle zu erarbeiten. In den vergangenen Tagen
wurde ein Paket aus drei Instrumenten verhandelt: vorsorgliche
Kreditlinien aus dem Eurorettungsfonds ESM für besonders betroffene
Staaten; ein Krisenfonds bei der Europäischen Investitionsbank und
EU-Unterstützung für Kurzarbeiter.

Eurogruppen-Chef Mario Centeno sagte am Wochenende, für diese
Instrumente gebe es breite Unterstützung. Zusammen ergäben sie ein
«Sicherheitsnetz» im Wert von einer halben Billion Euro. Es zeichnete
sich ab, dass der Streit über Gemeinschaftsanleihen - sie laufen
unter dem Namen Eurobonds, Corona-Bonds oder auch Recovery Bonds -
vertagt würde auf die «Wiederaufbauphase» nach der Pandemie.

Conte erteilte jedoch am Montagabend den ESM-Hilfen eine Absage und
sagte: «ESM nein, Eurobonds definitiv ja. Der ESM ist absolut
unzureichend, Eurobonds hingegen sind die Lösung, eine seriöse,
effektive, angemessene Reaktion auf den Notfall.» Mit seinem
Finanzminister Roberto Gualtieri stimme er da völlig überein.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz erneuerte indes seine Ablehnung
gegen Corona-Bonds auf europäischer Ebene. Mit der EIB, dem ESM und
dem Konzept «Sure» gebe es drei «ganz starke Signale der
Solidarität», sagte der SPD-Politiker am Montagabend im ZDF. Dazu
könne noch ein Europäisches Wiederaufbauprogramm kommen, damit die
Wirtschaft in Europa wieder wachse.

Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra bekräftigte am
Dienstag ebenfalls das Nein zu Eurobonds und stellte auch Details der
übrigen Instrumente in Frage. So forderte er Finanzhilfen aus dem ESM
mit Reformforderungen zu verbinden, etwa Reformen im Sozialsystem und
die Erhöhung des Rentenalters. Zuletzt hatte es aus
Verhandlungskreisen geheißen, die Bedingungen für die ESM-Hilfen
sollten auf ein Minimum begrenzt bleiben. Hoekstra stellte auch eine
Einigung auf das Kurzarbeiter-Programm «Sure» in Frage.

Der französische Finanzminister Bruno Le Maire legte die Latte für
eine Einigung mit seinen EU-Kollegen ebenfalls hoch. Er hatte als
Kompromiss in der Eurobond-Frage vorgeschlagen, einen neuen
Rettungsfonds zu gründen und diesen gemeinsame Anleihen herausgeben
zu lassen. Der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sagte Le Maire, er
wolle eine gemeinsame Lösung im Kreis der Finanzminister nur
billigen, falls die Länder dem Solidaritätsfonds grundsätzlich
zustimmten. Andernfalls müsse weiter verhandelt werden.

Hier noch einmal die debattierten Finanzinstrumente im Überblick:

KREDITLINIEN DES ESM

Beim Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM könnten sogenannte
vorsorgliche Kreditlinien für die Staaten der Eurogruppe eingerichtet
werden. Daran soll die Bedingung geknüpft werden, dass das Geld
direkt in die Krisenbewältigung fließt. Bis zu 240 Milliarden Euro an
Krediten könnten auf diese Weise ausgezahlt werden.

EIN GARANTIEFONDS BEI DER EIB

Die Europäische Investitionsbank EIB hat einen sogenannten
Paneuropäischen Garantiefonds vorgeschlagen, der so funktionieren
könnte: Die EU-Staaten zahlen anteilig 25 Milliarden Euro in den
Fonds ein, der zur Absicherung von Krediten der Investitionsbank an
den Mittelstand dienen soll. Nach Einschätzung der EIB ließen sich so
bis zu 200 Milliarden Euro an Liquidität für Firmen mobilisieren.

DIE EUROPÄISCHE KURZARBEITER-HILFE «SURE»

Das Konzept «Sure» der EU-Kommission soll Kurzarbeitergeld in den
EU-Staaten unterstützen. Das sind Lohnzuschüsse für Firmen, die in
der Krise trotz Auftragsmangels ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Der
Vorschlag: Die EU-Staaten hinterlegen unwiderrufliche Garantien in
Höhe von 25 Milliarden Euro. Mit dieser Rückendeckung nimmt die
EU-Kommission bis zu 100 Milliarden Euro zu günstigen Konditionen am
Kapitalmarkt auf und reicht sie nach Bedarf für Kurzarbeit an
EU-Staaten weiter.

CORONA-BONDS ODER RECOVERY BONDS

Dies würde so funktionieren: Mit fest verzinsten Wertpapieren leihen
sich EU-Staaten gemeinsam Geld an Finanzmärkten, das direkt in die
jeweiligen Haushalte flösse. Für Zinsen und Rückzahlung haften alle
gemeinsam. Hoch verschuldete Staaten könnten so zu günstigeren
Konditionen an frisches Geld am Kapitalmarkt kommen als alleine.