Hunderte Milliarden für den Wiederaufbau: Leyen präsentiert Plan

27.05.2020 05:00

Die EU steuert auf die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg
zu. Mit einem gemeinsamen Kraftakt will sie gegensteuern. Aber wie?
Die EU-Kommissionschefin soll den Weg zum Kompromiss weisen.

Brüssel (dpa) - Mit einem milliardenschweren Wiederaufbauplan will
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die europäische Wirtschaft
nach der Corona-Krise wieder in Schwung bringen und modernisieren.
Erstmals sollen dafür Hunderte Milliarden Euro als gemeinsame
Schulden für den EU-Haushalt aufgenommen werden. Die Details stellt
von der Leyen am Mittwochnachmittag (13.30 Uhr) in einer Rede im
Europaparlament vor.

Wegen des zeitweiligen Stillstands während der Pandemie wird die
Wirtschaft in der Europäischen Union nach einer offiziellen Prognose
dieses Jahr um 7,4 Prozent schrumpfen. Einige Länder wie Italien,
Spanien und Griechenland sind besonders hart getroffen. Die
EU-Staaten haben bereits ein gemeinsames Sicherheitsnetz mit
Kredithilfen von bis zu 540 Milliarden Euro gespannt. Der
Wiederaufbauplan ist nun der nächste Schritt.

Wirtschaftsexperten begrüßen die Bemühungen um ein groß angelegtes

Programm. Die EU stehe vor der tiefsten Rezession seit dem Zweiten
Weltkrieg, sagte Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel
der Deutschen Presse-Agentur. «Es besteht die Gefahr einer lang
anhaltenden Krise und die Gefahr, dass der Binnenmarkt und der
wirtschaftliche Erfolg der EU untergraben werden.»

Wolff würdigte auch, dass Deutschland seine Position verändert habe
und ein kreditfinanziertes Wiederaufbauprogramm mittragen wolle. Das
sei ein «signifikanter Schritt» und eine «Position, die realistischer

ist und angemessener ist gegenüber der Größe der Herausforderung».


Vorige Woche hatten Deutschland und Frankreich vorgeschlagen, die
EU-Kommission solle mit Hilfe von Garantien der EU-Staaten 500
Milliarden Euro Kredit aufnehmen und als Zuwendungen an Krisenstaaten
und -branchen vergeben. Die deutsche Position wird besonders
aufmerksam beobachtet, weil die Bundesrepublik die stärkste
Volkswirtschaft und der größte Nettozahler der EU ist.

Darüber hinaus übernimmt Deutschland zum 1. Juli für sechs Monate den

Vorsitz der EU-Länder. Damit kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel eine
besondere Rolle bei der Bewältigung der Krise zu. Ihre Schwerpunkte
will sie am Mittwoch in einer Videokonferenz mit der Spitze des
EU-Parlaments und in einer Rede bei der Konrad-Adenauer-Stiftung
beschreiben.

Von der Leyens Wiederaufbauplan ist in Eckpunkten bereits bekannt,
und er ähnelt dem deutsch-französischen Konzept. Die
Kommissionschefin will ihren Wiederaufbauplan mit dem nächsten
siebenjährigen EU-Budget verknüpfen. Dieses hat allein einen Umfang
von etwa einer Billion Euro. Hinzu kommen mehrere Hundert Milliarden
für den Aufbauplan. Die genauen Zahlen hielt die Kommission bis
zuletzt unter Verschluss.

Auch von der Leyen will den Aufbauplan mit Krediten finanzieren.
Dafür sollen die EU-Staaten mit Beitragszusagen zum Haushalt
garantieren. Im Fachjargon: Die Eigenmittelobergrenze soll erhöht
werden. Die Schulden sollen dann über Jahrzehnte aus dem EU-Budget
abgestottert werden. Dabei sollen nach dem Willen der EU-Kommission
neue eigene Einnahmen aus Steuern und Abgaben helfen. Im Gespräch ist
eine Ausweitung des Europäischen Emissionshandels sowie eine
Digitalsteuer oder eine Plastikabgabe.

Dass aus Krediten stammendes Geld als Zuwendung und nicht nur als
rückzahlbares Darlehen an Krisenstaaten fließen soll, stößt bei
einigen EU-Ländern auf Widerstand. Österreich, die Niederlande,
Schweden und Dänemark - inzwischen bekannt als die «Sparsamen Vier» -

haben gemeinsam Einspruch erhoben.

Entsprechend warnte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz die
Europäische Kommission davor, den deutsch-französischen Plänen zu
stark nachzugeben. «Ich erwarte, dass die Vorschläge der
EU-Kommission auch auf die Vorstellungen der «Sparsamen
Vier» Rücksicht nehmen werden», sagte Kurz der Tageszeitung «Die
Welt» (Mittwoch) und kündigte Widerstand gegen einseitige
Festlegungen an. «Wir werden in diesen Verhandlungen darauf achten,
dass auch unsere Interessen berücksichtigt werden.»