, Start der Aufzeichnungen ) Corona-Krise löst schwere Rezession in Großbritannien aus Von Jürgen Krämer, dpa-AFX, und Silvia Kusidlo, dpa

12.08.2020 16:14

Die Corona-Pandemie trifft die britische Wirtschaft voll ins Mark.
Nun ist die Rezession amtlich. Es könnte sogar noch schlimmer kommen.

London (dpa) - Großbritannien ist wegen der Corona-Krise in die
schwerste Rezession seit Beginn der Aufzeichnungen gerutscht. Im
zweiten Quartal schrumpfte die Wirtschaftsleistung um 20,4 Prozent im
Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistikamt ONS am Mittwoch in
London nach einer ersten Schätzung des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
für die Monate April bis Juni mitteilte. Die Zukunft könnte noch
düsterer aussehen: Experten rechnen mit einem starken Anstieg der
Arbeitslosigkeit. Auch der Brexit könnte die Wirtschaft belasten.

Großbritannien hat die Europäische Union zwar bereits Ende Januar
verlassen, gehört aber bis Jahresende noch zum EU-Binnenmarkt und zur
Zollunion. Die Gespräche zwischen London und Brüssel über ein
Anschlussabkommen stocken aber. Ohne Einigung droht zum Jahreswechsel
ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und Handelshemmnissen.
Eine Frist zur Verlängerung dieses Übergangszeitraums ließ London
Ende Juni ungenutzt verstreichen.

Die «doppelte Bedrohung» durch eine zweite Coronavirus-Welle und die
langsamen Fortschritte bei den Brexit-Verhandlungen seien
besorgniserregend, sagte Alpesh Paleja vom britischen
Industrieverband CBI. Von der Regierung forderte er «maximale
Agilität», um die Zukunft der Wirtschaft zu sichern.

Als Folge der Corona-Krise rechnen Experten mit einem starken Anstieg
der Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten. Fast täglich kündigen
britische Unternehmen bereits Stellenstreichungen an.
«Hunderttausende haben ihren Job verloren - und leider werden in den
kommenden Monaten noch viel mehr hinzukommen», sagte Finanzminister
Rishi Sunak am Mittwoch dem Sender Sky News.

Der Konjunktureinbruch im zweiten Quartal kam nicht überraschend.
Denn die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie waren
vor allem in diesen Zeitraum gefallen. Großbritannien ist das Land
mit den meisten Corona-Todesopfern in Europa.

Die Regierung steht in der Kritik, zu spät auf den Ausbruch reagiert
zu haben. Nun muss ihr der Spagat zwischen der Eindämmung des
Erregers und der Rücksicht auf die Wirtschaft gelingen. Dabei warnen
Experten bereits vor einer zweiten Corona-Welle im Herbst.

Bereits im ersten Quartal hatten sich in der zweitgrößten
Volkswirtschaft Europas Spuren der Pandemie gezeigt. In den Monaten
Januar bis März war die Wirtschaftsleistung im Quartalsvergleich um
2,2 Prozent gesunken. Sinkt die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in
Folge, sprechen Ökonomen von einer «technischen Rezession». Acht Mal

ist dies dem Statistikamt zufolge seit Beginn der Aufzeichnungen 1955
in Großbritannien passiert, nie aber in diesem Ausmaß.

Nach dem Einbruch konnte sich die Wirtschaft aber ein wenig erholen.
Im Juni stieg die Wirtschaftsleistung laut ONS um 8,7 Prozent im
Monatsvergleich. In Großbritannien werden im Gegensatz zu anderen
Industriestaaten auch monatliche Wachstumsdaten veröffentlicht.

Nach Angaben des Statistikamts stieg die Fertigung in den
Industrieunternehmen im Vergleich zum Mai um 9,3 Prozent. Die Folgen
der Corona-Krise verdeutlicht aber der Jahresvergleich: Demnach lag
die Fertigung im Juni um 12,5 Prozent niedriger als im Juni 2019.

Große Sorgen macht den Briten der prognostizierte starke Anstieg der
Arbeitslosigkeit. Bislang federte die Regierung die Folgen der
Pandemie mit einem Programm (Job Retention Scheme) ab, das der
deutschen Kurzarbeit nachempfunden ist. Doch das läuft nun
schrittweise bis Ende Oktober aus. Zahlte der Staat noch bis Ende
Juli 80 Prozent der Gehälter und den Arbeitgeberanteil der
Sozialabgaben, müssen Unternehmen seit August wieder selbst für die
Sozialversicherungsbeiträge ihrer Angestellten aufkommen. Im
September und Oktober kommen je zehn Prozent des Gehalts hinzu. Im
November zieht sich der Staat dann komplett zurück.

Die Bank of England rechnet nicht mit einer schnellen Erholung. In
ihrer kürzlich veröffentlichten Konjunkturprognose geht sie davon
aus, dass die Wirtschaftsleistung des Landes erst Ende 2021 wieder
das Niveau erreicht, das sie vor der Pandemie gehabt hat.