) Demonstranten in Bulgarien stellen Regierung Rücktrittsultimatum

12.08.2020 19:06

Sofia (dpa) - Nach mehr als einem Monat regierungskritischer Proteste
in Bulgarien haben Demonstranten den Ministerpräsidenten Boiko
Borissow ultimativ aufgefordert, sofort zurückzutreten. Sie drohten,
das Parlament in Sofia während einer Sondersitzung an diesem
Donnerstag zu blockieren, um seinen Rückzug durchzusetzen.

Demonstranten, die der Regierung in Sofia korrupte Praktiken
vorhalten, protestierten am Mittwoch auch vor der deutschen
Botschaft. Mit blauen Binden vor ihren Augen beschuldigten sie
Deutschland, das aktuell den EU-Ratsvorsitz innehat, die Augen vor
Bulgariens Problemen zu verschließen. Die vornehmlich jungen Menschen
riefen in Sprechchören «Mafia, Mafia» in Bezug auf die bulgarische
Regierung. Im EU-Parlament gehört Borissows Partei GERB zur
Europäischen Volkspartei, so wie auch die deutschen Christdemokraten.

«Die Entscheidungen über die politische Zukunft von Bulgarien werden
nur in Bulgarien getroffen», heißt es unter anderem in einer
Stellungnahme der deutschen Botschaft in Sofia auf Facebook. Die
Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und die Bekämpfung der Korruption
seien ein wichtiges Element der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. 
Seit seinem EU-Beitritt 2007 wurde Bulgarien wegen Mängeln im Kampf
gegen Korruption und organisierter Kriminalität unter
Sonderbeobachtung aus Brüssel gestellt.

Die Regierung aus Bürgerlichen und Nationalisten beschloss
unterdessen Corona-Hilfen für arbeitende Eltern von Schulkindern.
Auch Krankenhäuser, Schulen und Studenten sollen finanziell
unterstützt werden.

Bei Protestaktionen und auf Zeltblockaden beschuldigen die
Demonstranten das seit Mai 2027 regierende Koalitionskabinett seit
Wochen, wie eine Mafia zu handeln, Korruptionspraktiken zu dulden
sowie von Oligarchen abzuhängen. An den Protesten vor allem in der
Hauptstadt nehmen viele junge Menschen teil. Dabei sind auch recht
viele Anhänger des im Parlament nicht vertretenen pro-europäischen
konservativ-liberalen Blocks Demokratisches Bulgarien.

Demonstranten okkupierten in der Nacht zum Mittwoch erneut die große
Straßenkreuzung an der Sofioter Universität. Damit hielten sie drei
wichtige Verkehrsknoten der Hauptstadt besetzt, wo sie die Durchfahrt
mit Zelten, Parkbänken, Müllcontainern und Blumenkästen versperren.
Weitere Linien des öffentlichen Nahverkehrs mussten umgeleitet
werden. Ein Autokorso blockierte östlich von Sofia den Verkehr auf
der Autobahn, die von Belgrad nach Istanbul führt.

Die Demonstranten werden von Staatspräsident Rumen Radew unterstützt,
der der oppositionellen, Russland-freundlichen Sozialistischen Partei
(BSP, Ex-KP) nahesteht. Auch diese fordert Neuwahlen, obwohl es schon
im März 2021 eine reguläre Parlamentswahl geben soll.

Der Koalitionsrat der Regierung lehnt einen Rücktritt «auf Druck der
Straße» ab. Doch Borissow hatte sich bei einem Parteiforum bereit
erklärt, zurückzutreten. Auf Facebook postete er mehrere nicht
eindeutige Ansagen wie etwa «Zeit für Entscheidungen».