EU diskutiert mögliche Sanktionen gegen Führung in Belarus

14.08.2020 04:00

Die EU steht angesichts der dramatischen Entwicklungen in Belarus
unter Druck. Die Demokratiebewegung soll unterstützt, ein Konflikt
direkt an der östlichen Außengrenze aber verhindert werden. Finden
die Außenminister eine gute Strategie?

Brüssel (dpa) - Sofort Sanktionen erlassen oder besser erst noch
einmal abwarten? Die Außenminister der EU-Staaten beraten an diesem
Freitagnachmittag erstmals in großer Runde über mögliche Reaktionen
auf die von schweren Fälschungsvorwürfen begleitete Präsidentenwahl
in Belarus (Weißrussland). Wenn es den erforderlichen Konsens gibt,
ist denkbar, dass die Wiedereinführung von 2016 aufgehobenen
Sanktionen auf den Weg gebracht wird. So könnten etwa
EU-Einreiseverbote und Vermögenssperren gegen die belarussische
Führung erlassen und Finanzhilfen im Rahmen der Nachbarschaftspolitik
gekürzt werden.

Die Regierung in Belarus begann unterdessen am Donnerstagabend mit
der Freilassung zahlreicher Demonstranten, die bei Protesten in den
vergangenen Tagen festgenommen worden waren. Bis zum Freitagmorgen,
6.00 Uhr (5.00 Uhr MESZ), solle ein Großteil der Festgenommenen
wieder in Freiheit kommen, teilten die Behörden mit. Die Rede war von
mehr als 1000 Gefangenen. Es war das erste Mal seit Tagen, dass der
Machtapparat unter Alexander Lukaschenko, der als letzter «Diktator
Europas» gilt, einlenkte. Staatsmedien berichteten, dass Lukaschenko
selbst angewiesen habe, sich um die Lage der Gefangenen zu kümmern.
Tausende hatten auch am Donnerstag seinen Rücktritt gefordert.

Dem Staatschef wird von der Opposition in seinem Land und der EU
vorgeworfen, die Wahl am vergangenen Sonntag zu seinen Gunsten
manipuliert zu haben und die Versammlungs-, Medien- und
Meinungsfreiheit einzuschränken. Er soll nach offiziellen Angaben die
Abstimmung mit mehr als 80 Prozent der Stimmen gewonnen haben. Die
Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja nimmt aber einen Sieg für sich
in Anspruch. Bei Protesten gab es zuletzt rund 7000 Festnahmen, die
Sicherheitskräfte gingen brutal gegen die Demonstranten vor.

Bereits fünf Tage in Folge gingen die Menschen auf die Straße. In der
Nacht zum Freitag blieben die Proteste Berichten zufolge zunächst
friedlicher als in den Nächten zuvor. Viele berichteten im
Nachrichtenkanal Telegram von Gewalt und Schlägen im
Polizeigewahrsam. Sie veröffentlichten auch Bilder von ihren
verletzten Körpern mit zahlreichen Blutergüssen.

Am Donnerstag legten Menschen in vielen wichtigen Staatsbetrieben
ihre Arbeit nieder, auch zahlreiche Ärzte waren unter den
Streikenden. Zudem bildeten die Bewohner Menschenketten, Tausende
Frauen verteilten Blumen.

Für Gespräche über neue Sanktionen hatte sich zuletzt unter anderem
Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) ausgesprochen. Die
Hoffnungen auf mehr Rechtsstaatlichkeit in Belarus hätten mit der
Präsidentenwahl «mehr als nur einen herben Rückschlag erlitten»,
sagte er. Von freien Wahlen sei «wirklich überhaupt nichts» zu
erkennen gewesen. Stattdessen habe man Gewalt, Einschüchterungen und
Verhaftungen erlebt.

Ob es den notwendigen Konsens für Sanktionen im Ministerrat geben
wird, war bis zuletzt allerdings unklar - vor allem wegen der guten
Kontakte von Ungarns Regierungschef Viktor Orban zu Lukaschenko.
Orban hatte Lukaschenko noch im Juni in Minsk besucht und dabei ein
Ende der noch bestehenden EU-Sanktionen gegen Belarus gefordert.

«Wir sind daran interessiert, dass in der EU dialogbasierte
Entscheidungen getroffen werden, die den künftigen Ausbau von
Beziehungen zwischen der EU und Belarus nicht unmöglich machen»,
schrieb der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Donnerstag
auf seiner Facebook-Seite.

Litauen kündigte unterdessen bereits an, notfalls alleine zu handeln.
Sollte keine Einigung über gemeinsame EU-Sanktionen zustande kommen,
werde Litauen nationale Sanktionen initiieren, sagte Außenminister
Linas Linkevicius. Nach Einschätzung des Regierungschefs Saulius
Skvernelis könnten sich Polen, die Ukraine und die beiden anderen
Baltenstaaten Estland und Lettland einer derartigen Initiative
anschließen.

Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von
Menschenrechtlern zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von
Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo
sowie Strafmaßnahmen gegen vier Weißrussen, die am Verschwinden von
Regime-Gegnern beteiligt sein sollen, wurden zuletzt noch
aufrechterhalten.

Für Lukaschenko, 169 Gefolgsleute sowie drei Unternehmen bedeutete
die EU-Entscheidung damals, dass von ihnen vorhandene Vermögen in der
EU nicht mehr gesperrt werden konnten. Zudem wurden für sie sämtliche
Reise- und Geschäftsbeschränkungen aufgehoben. Als einen Grund für
die Lockerung der Sanktionen nannte die EU damals die Freilassung
politischer Gefangener sowie die gewaltfrei verlaufene
Präsidentenwahl im Jahr 2015.

Im Zuge dieser Entwicklungen wurde auch die Zusammenarbeit langsam
wieder intensiviert. So bekamen etwa Hunderte belarussische
Unternehmen über die Initiative «EU4Business» Finanzhilfen und andere

Arten von Unterstützung.