Machtkampf in Belarus: EU-Parlament will Sanktionen gegen Lukaschenko

17.09.2020 20:27

Die Töne aus Brüssel gegen Staatschef Lukaschenko in Belarus werden
schärfer. Nun fordert das EU-Parlament Sanktionen auch gegen den
Langzeitpräsidenten. Auch Russland gerät ins Visier.

Brüssel/Minsk (dpa) - Im wochenlangen Machtkampf in Belarus
(Weißrussland) spricht sich das Europaparlament für direkte
Sanktionen gegen den Staatschef Alexander Lukaschenko aus. Dazu
verabschiedeten die Parlamentarier am Donnerstag in Brüssel einen
Entschließungsantrag. Die Strafmaßnahmen sollen demnach gegen
Verantwortliche der Wahlfälschung und der Unterdrückung friedlicher
Proteste richten. Die EU bereitet derzeit Sanktionen vor. Unklar war
aber, ob auch Lukaschenko auf dieser Liste stehen wird. Die
EU-Parlamentarier erkannten zugleich indirekt die Oppositionelle
Swetlana Tichanowskaja als vorübergehende Repräsentantin von Belarus
an.

Die 38-Jährige war bei der Wahl am 9. August gegen Lukaschenko
angetreten. Die Opposition hält sie für die wahre Siegerin. Doch der
Präsident ließ sich 80,1 Prozent der Stimmen zusprechen und will
im Herbst seine mittlerweile sechste Amtszeit antreten. Tichanowskaja
war aus Belarus geflohen und hält sich nun im EU-Land Litauen auf.

Sie hatte den Koordinierungsrat der Zivilgesellschaft für einen
friedlichen Machtwechsel initiiert. Fast alle führenden Mitglieder
sind entweder in Haft oder im Ausland, weil Lukaschenko gegen das
Gremium massiv vorgeht. Die EU-Parlamentarier beschlossen nun, den
Koordinierungsrat als vorübergehende Vertretung des Volkes
von Belarus anzusehen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte erst am Dienstag gesagt,
Lukaschenko werde nicht als legitimer Präsident der früheren
Sowjetrepublik anerkannt. Auch das EU-Parlament äußerte sich
entsprechend in der Entschließung. Die EU-Staaten hatte bereits das
Wahlergebnis nicht anerkannt. Dazu sagte Lukaschenko am Abend der
Staatsagentur Belta zufolge, die Wahl sei gemäß dem Recht in Belarus

abgehalten worden. «Wir brauchen keine Anerkennung.»

Borrels Sprecher Peter Stano sagte am Donnerstag der dpa, dass
Tichanowskaja am Montag für ein Treffen mit den EU-Außenministern
nach Brüssel kommen werde.

Knapp sechs Wochen nach der Präsidentenwahl geht Lukaschenkos Apparat
immer brutaler gegen Andersdenkende vor. Maskierte Uniformierte, die
keine Erkennungszeichen tragen, nehmen täglich Bürger fest. Dutzende
Anwälte veröffentlichten einen Videoclip, in dem sie die totale
Willkür und das «kriminelle» Handeln der Behörden kritisierten.

Wegen der Gewalt an Demonstranten erstellt die Opposition nun eine
«schwarze Liste» mit den Gehilfen des 66-Jährigen. Die Namen jener,
die an Folter, illegalen Festnahmen und am Missbrauch von Gefangenen
beteiligt seien, sollten auf eine Sanktionsliste, teilte
Tichanowskaja in ihrem Exil in der EU mit.

Lukaschenko, der von seinen Kritikern auch als «letzter Diktator
Europas» bezeichnet wird, sucht in der schwersten Krise seines Landes
Rückendeckung im Nachbarland Russland. Kremlchef Wladimir Putin hatte
ihm Truppen für den Ernstfall und einen Milliardenkredit versprochen.

Um die angeschlagene Wirtschaft zu stabilisieren, brachte Polen einen
europäischen Marshall-Plan für Belarus ins Gespräch. Er sehe die
Einrichtung eines Stabilisierungsfonds vor, der mindestens eine
Milliarde Euro umfassen sollte, sagte Polens Regierungschef Mateusz
Morawiecki bei einem Besuch in Litauen.

Russland warnt den Westen seit langem vor einer Einmischung in den
Konflikt - bezieht gleichzeitig aber Stellung für Lukaschenko und
lehnt Gespräche mit der Opposition ab. Das Außenministerium in Moskau
stellte am Donnerstag nach einem Telefonat von Vize-Außenminister
Andrej Rudenko mit dem US-Botschafter in Russland, John Sullivan,
klar, es handele sich in Belarus um eine interne Angelegenheit.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte am Abend in einem
Fernsehinterview, vor allem Litauen solle dem belarussischen Volk
nicht seinen Willen diktieren. «Die Situation ist angespannt.» Er sei
aber zuversichtlich, dass sich die Lage bald wieder normalisiere.

Die EU beklagte unterdessen, dass es etwa in Belarus eine sehr aktive
Desinformationspolitik gebe. Vor allem der russische Staatssender RT
(früher Russia Today) spiele eine tragende Rolle, hieß es aus den
EU-Kreisen weiter. Besorgniserregend sei zudem das massive Vorgehen
gegen Journalisten. Allein im August seien 150 Journalisten in
Belarus festgenommen worden. Mehreren Reportern, auch von
ausländischen Medien, sei die Akkreditierung entzogen worden.