) Machtkampf in Belarus: EU-Parlament will Sanktionen gegen Lukaschenko

17.09.2020 17:43

Die Töne aus Brüssel gegen Staatschef Lukaschenko in Belarus werden
schärfer. Nun fordert das EU-Parlament Sanktionen auch gegen den
Langzeitpräsidenten. Auch Russland gerät ins Visier.

Minsk (dpa) - Im wochenlangen Machtkampf in Belarus (Weißrussland)
spricht sich das Europaparlament für direkte Sanktionen gegen den
Staatschef Alexander Lukaschenko aus. Dazu verabschiedeten die
Parlamentarier am Donnerstag in Brüssel einen Entschließungsantrag.
Die Strafmaßnahmen sollen demnach gegen Verantwortliche der
Wahlfälschung und der Unterdrückung friedlicher Proteste richten. Die
EU bereitet derzeit Sanktionen vor. Unklar war aber, ob auch
Lukaschenko auf dieser Liste stehen wird. Die EU-Parlamentarier
erkannten zugleich indirekt die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja
als vorübergehende Repräsentantin von Belarus an.

Die 38-Jährige war bei der Wahl am 9. August gegen Lukaschenko
angetreten. Die Opposition hält sie für die wahre Siegerin. Doch der
Präsidenten ließ sich 80,1 Prozent der Stimmen zusprechen und will
im Herbst seine mittlerweile sechste Amtszeit antreten. Tichanowskaja
war aus Belarus geflohen und hält sich nun im EU-Land Litauen auf.

Sie hatte den Koordinierungsrat der Zivilgesellschaft für einen
friedlichen Machtwechsel initiiert. Fast alle führenden Mitglieder
sind entweder in Haft oder im Ausland, weil Lukaschenko gegen das
Gremium massiv vorgeht. Die EU-Parlamentarier beschlossen nun, den
Koordinierungsrat als vorübergehende Vertretung des Volkes
von Belarus anzusehen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte
erst am Dienstag gesagt, Lukaschenko werde nicht als legitimer
Präsident der früheren Sowjetrepublik anerkannt. Borrels Sprecher
Peter Stano kündigte am Donnerstag an, dass Tichanowskaja am Montag
für ein Treffen mit den EU-Außenministern nach Brüssel kommen werde
,
wie Stano der dpa sagte.

Kritik am EU-Parlament kam umgehend aus Minsk. Der Beschluss sei von
«aggressiver Natur» und enthalte keine einzige konstruktive und
ausgewogene These, teilte das Außenministerium mit.

Knapp sechs Wochen nach der Präsidentenwahl geht Lukaschenkos Apparat
immer brutaler gegen Andersdenkende vor. Maskierte Uniformierte, die
keine Erkennungszeichen tragen, nehmen täglich Bürger fest. Dutzende
Anwälte veröffentlichten einen Videoclip, in dem sie die totale
Willkür und das «kriminelle» Handeln der Behörden kritisierten.

Wegen der Gewalt an Demonstranten erstellt die Opposition nun eine
«schwarze Liste» mit den Gehilfen des 66-Jährigen. Die Namen jener,
die an Folter, illegalen Festnahmen und am Missbrauch von Gefangenen
beteiligt seien, sollten auf eine Sanktionsliste, teilte
Tichanowskaja in ihrem Exil in der EU mit.

Lukaschenko, der von seinen Kritikern auch als «letzter Diktator
Europas» bezeichnet wird, sucht in der schwersten Krise seines Landes
Rückendeckung im Nachbarland Russland. Kremlchef Wladimir Putin hatte
ihm Truppen für den Ernstfall und einen Milliardenkredit versprochen.

Um die angeschlagene Wirtschaft zu stabilisieren, hat Polen einen
europäischen Marshall-Plan für Belarus ins Gespräch gebracht. Er sehe

die Einrichtung eines Stabilisierungsfonds vor, der mindestens eine
Milliarde Euro umfassen sollte, sagte Polens Regierungschef Mateusz
Morawiecki bei einem Besuch in Litauen.

Russland warnt den Westen seit langem vor einer Einmischung in den
Konflikt - bezieht gleichzeitig aber Stellung für Lukaschenko und
lehnt Gespräche mit der Opposition ab. Das Außenministerium in Moskau
stellte am Donnerstag nach einem Telefonat von Vize-Außenminister
Andrej Rudenko mit dem US-Botschafter in Russland, John Sullivan,
klar, es handele sich in Belarus um eine interne Angelegenheit.

Die EU beklagte unterdessen, dass es etwa in Belarus eine sehr aktive
Desinformationspolitik gebe. Vor allem der russische Staatssender RT
(früher Russia Today) spiele eine tragende Rolle, hieß es aus den
EU-Kreisen weiter. Besorgniserregend sei zudem das massive Vorgehen
gegen Journalisten. Allein im August seien 150 Journalisten in
Belarus festgenommen worden. Mehreren Reportern, auch von
ausländischen Medien, sei die Akkreditierung entzogen worden.

Indes bereitet sich Belarus auf ein neues großes Protestwochenende
vor. An diesem Samstag haben Frauen in Minsk trotz der Gewalt durch
Sicherheitskräfte vorige Woche einen weiteren Marsch gegen
Lukaschenko angekündigt. Zum sechsten Mal hintereinander wird es dann
am Sonntag in der Hauptstadt Minsk und anderen Städten Massenproteste
gegen «Europas letzten Diktator», wie Lukaschenko von der
Demokratiebewegung genannt wird, geben. Es sind die größten Proteste
in der Geschichte des Landes.