EU-Kommission fordert Maßnahmen gegen Rassismus bei der Polizei

18.09.2020 19:09

Die EU-Kommission ist entsetzt über rechtsextreme Chatgruppen von
Polizisten - und fordert Gegenmaßnahmen. Mit einem Aktionsplan will
sie Diskriminierung eindämmen. Derweil fordern SPD-Minister eine
Studie zu Rassismus bei der Polizei - gegen Seehofers Willen.

Brüssel/Berlin (dpa) - Nach der Aufdeckung rechtsextremer Chatgruppen
von Polizisten in Nordrhein-Westfalen hat die EU-Kommission
Gegenmaßnahmen angemahnt. «Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, ihre
Anstrengungen zu verstärken, um rassistisches Verhalten in den
Strafverfolgungsbehörden zu verhindern und zu bekämpfen», sagte
EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova am Freitag der Deutschen
Presse-Agentur in Brüssel. Derweil forderten SPD-Minister eine
umfassende Rassismus-Studie bei der Polizei. Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) hält es dagegen nach wie vor für falsch, sich
bei der Untersuchung dieses Phänomens allein auf die
Sicherheitsbehörden zu konzentrieren.

Zuletzt waren bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen fünf Chatgruppen
mit rechtsextremen und rassistischen Inhalten entdeckt worden. 30
Polizisten wurden vorläufig vom Dienst suspendiert. Auf Nachfrage
sagte Jourova dazu: «Wir müssen besonders wachsam sein, wenn es um
Rassismus bei der Strafverfolgung geht.» Die Strafverfolgungsbehörden
müssten Teil der Lösung im Kampf gegen Rassismus sein.

Die Forderung nach fairer Polizeiarbeit ohne «racial profiling» -
also Kontrollen aufgrund fremden Aussehens - ist auch zentraler Punkt
in einem Anti-Rassismus-Plan, den Jourova zusammen mit der für
Gleichberechtigung zuständigen Kommissarin Helena Dalli vorstellte.
Er ist auf fünf Jahre angelegt und soll Vorurteile gegen Minderheiten
auf allen Ebenen angehen. Geplant sind ein Anti-Rassismus-Koordinator
und ein Gipfel gegen Rassismus im Frühjahr 2021. Die 27 EU-Staaten
sollen nationale Aktionspläne aufstellen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Aktionsplan am
Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt.
Gegen Rassismus und Diskriminierung gelten in der EU sowohl eine
Gleichstellungs-Richtlinie als auch ein Rahmenbeschluss zur
strafrechtlichen Verfolgung bestimmter Formen von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit.

Zur Forderung der SPD-Länder nach einer Rassismus-Studie bei der
Polizei sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter,
es stehe jedem Landesinnenminister frei, sich mit seiner eigenen
Polizei zu beschäftigen. Seehofer sei aber nicht der Auffassung,
«dass man sich jetzt sozusagen einzelne Berufsgruppen herausgreift».

Der aktuelle Chef der Innenministerkonferenz, Thüringens
Innenminister Georg Maier (SPD), sagte dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland (Freitag): «Die SPD-Innenminister sind sich einig, dass
sie eine Studie zum Vorwurf des Rassismus in der Polizei durchführen
wollen - und das notfalls auch allein. Die schiere Zahl von
Einzelfällen wird langsam mal zu viel.» Auch Bundesjustizministerin
Christine Lambrecht (SPD) unterstützt das Vorhaben.

Bereits im Juli hatte Maier angekündigt, mit seinen Länderkollegen
über eine Studie zu Rassismus innerhalb der Polizei zu beraten.
Gerade aus SPD-geführten Ländern kamen dazu positive Signale. Sollte
keine bundesweite Studie zustande kommen, halte er es für sinnvoll,
dass nur einzelne Länder eine wissenschaftliche Betrachtung
anstießen, sagte Maier.

Die Studie solle möglichst umfassend aufgestellt sein, hieß es aus
dem Thüringer Innenministerium. Themen wie Extremismus,
Diskriminierung und das sogenannte Racial Profiling ließen sich nicht
einfach voneinander trennen, sagte ein Ministeriumssprecher. Denkbar
sei, dass die Studie sich auch mit Gewalt gegen Polizisten und dem
Bild der Sicherheitskräfte in der Gesellschaft beschäftige. In Berlin
hatte Maiers Parteikollege, Innensenator Andreas Geisel, bereits
angekündigt, Maßnahmen gegen rechtsextremistische Einstellungen
Polizeibeamten verstärken zu wollen.

Ein von Seehofer in Auftrag gegebenes Lagebild zu Rechtsextremismus
in den Sicherheitsbehörden will das Bundesamt für Verfassungsschutz
bis Ende September fertigstellen. Die Grünen kritisierten, ohne eine
unabhängige wissenschaftliche Studie und Polizeibeauftragte, die
nicht bei den Behörden angesiedelt sind, werde man das Problem nicht
lösen können.

Im Skandal um rechte Chats von Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern
gab es derweil am Freitag Durchsuchungen bei zwei Beamten. Sie seien
vom Dienst suspendiert worden, sagte Landesinnenminister Lorenz
Caffier (CDU) am Abend in Schwerin. Gegen zwei weitere Polizisten
seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden, bei ihnen habe es aber
keine Durchsuchungen gegeben.

Insgesamt stünden nun 17 Beamte und ein Tarifangestellter der
Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern im Verdacht, rechtsextremes
Gedankengut in Internet-Chats ausgetauscht zu haben. Seit drei Jahren
fliegen immer wieder rechtsextreme Polizisten in dem Bundesland auf.
Ausgangspunkt waren Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen die
mutmaßlich rechtsextreme Prepper-Gruppe «Nordkreuz», die laut Caffier

noch laufen. In dem Zusammenhang war bei einem Ex-Elite-Polizisten
aus der Nähe von Schwerin umfangreiches Datenmaterial sichergestellt
worden. Dieses werde nun immer weiter ausgewertet, sagte Caffier.
Eine Verbindung zu den in Nordrhein-Westfalen aufgedeckten
rechtsextremen WhatsApp-Chats sieht Caffier nach jetzigem
Erkenntnisstand nicht.