Seehofer: Chance auf EU-Asyl-Einigung durch deutsche Debatte gesunken

20.09.2020 00:32

Berlin (dpa) - Die jüngsten deutschen Debatten über die Aufnahme von

Flüchtlingen belasten nach Einschätzung von Bundesinnenminister Horst
Seehofer die Bemühungen um eine Reform der europäischen Asylpolitik.
«Die Chancen auf eine Einigung sind durch die Debatten der letzten
Tage in Deutschland wieder gesunken», sagte der CSU-Politiker der
«Bild am Sonntag». «Viele unserer Nachbarn sagen mir: Warum sollen
wir uns beteiligen, wenn die Deutschen immer wieder als
Moral-Weltmeister auftreten und uns damit unter Druck setzen.» Da
könne man ihnen schwer widersprechen. «Wir sollten nicht als Vormund
Europas auftreten, sondern als Partner.»

Am Mittwoch präsentiert die EU-Kommission nach langem Warten neue
Reformvorschläge, über die die EU-Staaten und das Europaparlament
dann verhandeln müssen. «Ich erwarte von der EU-Kommission einen
handfesten Vorschlag, bei dem alle Register gezogen werden, damit wir
bis Ende des Jahres eine politische Verständigung über die
europäische Asylpolitik haben», sagte Seehofer.

Der verheerende Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen
Insel Lesbos hatte mehr als 12 000 Migranten obdachlos gemacht und
vor allem in Deutschland eine Debatte über die Aufnahme der Menschen
von dort ausgelöst. Union und SPD verständigten sich am Dienstag
darauf, 1553 Flüchtlinge von fünf griechischen Inseln aufzunehmen,
die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt wurden.

Seehofer wehrte sich gegen Kritik an der Haltung der Bundesregierung.
«Es muss endlich aufhören, dass der Eindruck erweckt wird, nur wer
für unbegrenzte Aufnahme ist, habe ein Herz, und wer für kluges,
überlegtes Handeln, für Begrenzung und Steuerung von Migration
eintritt, sei ein herzloser Unmensch», sagte er der «Bild am
Sonntag». «Ich kann das für die gesamte Bundesregierung sagen: Wir
haben ein weites Herz, aber wir haben keine unbegrenzten
Möglichkeiten, Flüchtlinge aufzunehmen.»

Die EU-Staaten streiten bei der Asylpolitik seit Jahren verbittert.
Knackpunkt ist die Verteilung Schutzsuchender. Das aktuelle System
belastet vor allem die Länder an den EU-Außengrenzen. Deshalb
entschieden sich die EU-Staaten im Herbst 2015 für die Umverteilung
von bis zu 160 000 Asylbewerbern. Ungarn, Polen und Tschechien
stemmten sich jedoch beharrlich dagegen. Seitdem werden die Risse
immer tiefer. Und die Bereitschaft zur Aufnahme von Migranten wird
immer geringer. Andere Länder schicken lieber Zelte, Schlafsäcke oder
Decken.