Machtkampf in Belarus: Kritik an EU-Empfang für Tichanowskaja

21.09.2020 04:00

Mehr als einen Monat nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus
stellt sich Swetlana Tichanowskaja nun bei den Außenministern in
Brüssel vor. Nicht nur dem Machtapparat von Alexander Lukaschenko in
Minsk missfällt das.

Minsk/Brüssel/Moskau (dpa) - Begleitet von scharfer Kritik der
Außenministerien in Moskau und Minsk trifft sich die belarussische
Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja an diesem Montag mit
Chefdiplomaten in Brüssel. Russland verurteilte schon vorab den
EU-Empfang für Tichanowskaja als Einmischung in die inneren
Angelegenheiten vom Belarus (Weißrussland). «Angesichts der Lage in
Belarus läuft das dem Ziel zuwider, die Stabilität
wiederherzustellen», sagte die Sprecherin des russischen
Außenministeriums, Maria Sacharowa.

Russland sieht sich selbst seitens der Opposition in Belarus
aufgefordert, sich aus den Angelegenheiten des Landes herauszuhalten.
Die Demokratiebewegung in dem Land sieht Tichanowskaja als Siegerin
der Präsidentenwahl vom 9. August. Dagegen hält Russland den
umstrittenen Machthaber Alexander Lukaschenko für den Sieger.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat die 38-jährige
Tichanowskaja zu einem Arbeitsfrühstück vor dem Treffen der
EU-Außenminister eingeladen. Die Minister beraten über Sanktionen
gegen Belarus. Tichanowskaja soll Gelegenheit haben,
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und die anderen Chefdiplomaten
direkt über die Lage in ihrem Land zu informieren. Die EU hatte die
Präsidentenwahl nicht anerkannt und auch die anschließende Gewalt
unter Lukaschenko gegen friedliche Demonstranten verurteilt.
Inzwischen gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und mehr als
10 000 Festnahmen.

Russland unterstützt den als «letzten Diktator Europas» bezeichneten

Lukaschenko politisch und finanziell. Der 66-Jährige hatte sich
Anfang August nach 26 Jahren an der Macht zum sechsten Mal zum
Wahlsieger erklären lassen - und zwar mit 80,1 Prozent der Stimmen.
Kremlchef Wladimir Putin gratulierte ihm zum Sieg.

Am Sonntag waren in Belarus zum sechsten Mal in Serie Zehntausende
Menschen auf die Straßen gegangen. Sie demonstrierten für ein Ende
des «brutalen Regimes», für die Freilassung von politischen
Gefangenen und Neuwahlen ohne Lukaschenko. Der Machthaber lehnt einen
Dialog mit der Opposition ab und betonte wiederholt, dass er die
Macht nicht hergeben werde.

Russland fordert einen gesamtgesellschaftlichen Dialog und
unterstützt Lukaschenkos Vorschlag einer Verfassungsreform. Auch das
belarussische Außenministerium forderte die EU auf, diesen Weg einer
neuen Verfassung zu unterstützen. Zugleich drohte Außenminister
Wladimir Makej der EU mit Gegenmaßnahmen, sollten die Minister am
Montag erneut Sanktionen gegen Belarus verhängen.

Die EU versuche, jetzt auf verschiedenen internationalen Plätzen
Druck auf Belarus auszuüben, sagte Makej am Freitag. Möglich als
Reaktion seien eine Sanktionsliste gegen europäische Amtsträger sowie
der Entzug der Akkreditierung für ausländische Korrespondenten in
Belarus. Radikalere Schritte seien, die Zusammenarbeit in
internationalen Organisationen oder das Ausmaß diplomatischer
Kontakte mit einzelnen Ländern auf den Prüfstand zu stellen.