Polen muss Fragen zu Disziplinarverfahren gegen Richter beantworten

21.09.2020 14:45

Straßburg (dpa) - Polen muss sich den Fragen des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu mehreren
Disziplinarverfahren gegen einen bekannten regierungskritischen
Richter stellen. Der Gerichtshof habe Anfang September Fragen an die
polnische Regierung im Beschwerdefall des Warschauer Bezirksrichters
Igor Tuleya gerichtet, teilte der EGMR am Montag mit. Polens
Regierung muss sich nun unter anderem dazu äußern, ob bei den
Disziplinarverfahren gegen Tuleya dessen Recht auf Privatsphäre
missachtet wurde. Tuleya hatte in seiner Beschwerde am EGMR
angegeben, dass die insgesamt sieben Disziplinarverfahren gegen ihn
und wie diese durchgeführt worden seien, seinen Ruf schwer beschädigt
hätten.

Der prominente Richter ist einer der bekanntesten Kritiker der
Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Mit
den Reformen wurde auch ein neues Disziplinarverfahren für Richter
eingeführt, das nach Ansicht der Gegner die Unabhängigkeit der Justiz
gefährdet.

Tuleya erklärte in seiner EGMR-Beschwerde, dass die sieben Verfahren
aus dem Jahr 2018 gegen ihn unverhältnismäßig gewesen seien. Seither

habe es außerdem eine Medien-Kampagne gegen ihn gegeben, die auch
dazu geführt habe, dass er Hassbotschaften und Drohungen erhielt,
hieß es in den Gerichtsunterlagen. Die polnische Regierung hat
insgesamt drei Monate Zeit, sich zu äußern. Eine Entscheidung in dem
Fall werde erst zu einem späteren Zeitpunkt fallen, erklärte der
EGMR.

Die Justizreformen hatten auch zu einem Streit zwischen Polen und der
Europäischen Union geführt. Der EGMR mit Sitz im französischen
Straßburg ist Teil des Europarates und gehört nicht zur EU.