Waldbrände in Brasilien: Bolsonaro verbittet sich Kritik Von Martina Farmbauer, dpa

21.09.2020 19:47

Seit Wochen toben Brände im brasilianischen Pantanal, mehr als ein
Fünftel des weltgrößten Binnenfeuchtgebiets ist bereits zerstört. D
en
Präsidenten scheint das kaum zu kümmern. Kurz vor einem Auftritt bei
den Vereinten Nationen weist Bolsonaro erneut Vorwürfe zurück.

Rio de Janeiro (dpa) - Eine gewisse Ironie ist kaum zu leugnen:
Ausgerechnet Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der die massiven
Waldbrände in seinem Land immer wieder herunterspielt, kann mit
seinem Flugzeug nicht landen - wegen des Rauchs der Waldbrände. Aber
deshalb Einsicht beim Staatsoberhaupt? Fehlanzeige. «In diesem Fall
war die Sicht nicht sehr gut», sagt Bolsonaro lediglich, nachdem es
mit dem Landeanflug auf die Stadt Sinop am Freitag im zweiten Versuch
dann doch noch geklappt hat. Am Dienstag soll er nun als einer der
ersten Redner die UN-Generalversammlung eröffnen - und sich wohl auch
dann wieder jede Kritik an seiner Umweltpolitik verbitten.

Vorwürfe aus dem Ausland weist der Präsident mit dem Hinweis zurück,

die Konkurrenz sei eben interessiert daran, das brasilianische
Agrargeschäft anzugreifen. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich auch
angesichts der anhaltenden Abholzung des Regenwaldes skeptisch
gegenüber dem Handelsvertrag zwischen EU und dem südamerikanischen
Staatenbund Mercosur geäußert. Auch Frankreich widersetzt sich dem.

Doch auch in Brasilien wächst die Kritik. «Die Auswirkungen auf die
Agrarindustrie sind schädlich, unsere Glaubwürdigkeit und
Wettbewerbsfähigkeit werden beeinträchtigt», sagte
Parlamentspräsident Rodrigo Maia am Montag. Auch eine Koalition aus
mehr als 200 Agrarunternehmen und Nichtregierungsorganisationen hatte
der Regierung Bolsonaro bereits Vorschläge geschickt, um die
Abholzung im Amazonas-Gebiet «schnell und dauerhaft» zu stoppen.

«Wir sehen Ausbrüche von Feuern in ganz Brasilien seit Jahren», sagt

Bolsonaro. Was Bolsonaro zum Beispiel nicht sagt: Seit Beginn der
Aufzeichnungen im Jahr 1999 hat es im Pantanal, dem weltgrößten
Binnenfeuchtgebiet, nie so schlimm gebrannt wie derzeit. Das geht aus
Daten des Nationalen Weltrauminstituts (Inpe) hervor. Alleine in
diesem Jahr hat das Inpe dort bereits fast 16 000 Feuer registriert.
Auch im Amazonas-Gebiet toben Brände.

Die Brände zerstörten schon ein Fünftel, rund 30 000
Quadratkilometer, des Pantanal-Gebiets in den Bundesstaaten Mato
Grosso und Mato Grosso do Sul - eine Fläche größer als Israel. «Es

sieht so aus, als ob nur Wasser übrig bleibt», sagt Vinícius
Silgueiro von der Umweltschutzorganisation «Instituto Centro de Vida»
(ICV) in Alta Floresta der Deutschen Presse-Agentur.

Das Pantanal besteht aus einem verzweigten System von Flüssen und
Seen und ist ein einzigartiges Natur- und Touristenparadies.
Beheimatet sind dort außerdem die größte Jaguar-Population der Welt
sowie Hunderte Vogelarten, darunter der bedrohte Hyazinth-Ara. Doch
die Brände verwandeln ihren Lebensraum vielerorts in einen Friedhof.
Einen Notfallplan hat etwa der Jaguar-Park «Encontro das Águas»
nicht, wie die Zeitung «Folha de S. Paulo» am Montag berichtete - und
nur einen Mitarbeiter.

Freiwillige retten und versorgen überlebende Tiere. Es gibt
dramatische Berichte von Freiwilligen, die versuchen, Feuer mit
Wasser aus Schüsseln zu löschen. «Als die Region der
«Transpantaneira» (eine Erdstraße, die durch das Pantanal führt)
verbrannt ist, waren es mehrere Tage Feuer, Feuer, Feuer», erzählt
Felipe Dias, Direktor der NGO «SOS Pantanal» in Campo Grande.

In dem Feuchtgebiet herrscht die größte Trockenheit in fast 50
Jahren, so dass ein Funke genügt, um einen höllischen Brand zu
entfachen. «Die Brände sind eng verbunden mit neuen
Fazenda-Eigentümern, die in der Gegend Weideland erschließen», sagt
Silgueiro. Alleine in der Gemeinde Cáceres, wo es mit am meisten
gebrannt hat, werden circa eine Million Rinder gehalten. Das Reinigen
von Feldern mit Feuer - auch ein großer Risikofaktor - ist derzeit
per Dekret verboten.

Forstingenieur Silgueiro sagt, nach den Daten seiner Organisation
habe es in allen Gemeinden von Mato Grosso dieses Jahr bereits
gebrannt. Die Rauchwolken von den Bränden zogen Tausende Kilometer
durch Brasilien bis in die Metropolen Rio und São Paulo.

Doch die Antwort der brasilianischen Regierung ließ auf sich warten:
Erst in der vergangenen Woche - also mehr als zwei Monate, nachdem
die Brände im Pantanal begonnen hatten, sich unaufhaltsam
auszubreiten - erklärte sie den Notstand für Mato Grosso do Sul und
gab Geld für die Brandbekämpfung frei. Am Montag forderte Mato Grosso
die Streitkräfte zum Kampf gegen die Flammen an.

Nach wie vor sieht die Regierung die Brände vor allem als
Marketingproblem, viele Mitglieder stellen sogar den vom Menschen
verursachten Klimawandel in Frage. Seit seinem Amtsantritt hat
Präsident Bolsonaro die Umweltbehörden geschwächt, das Budget für
2021 wurde gekürzt. «Wir erleben das Chaos in der Umweltpolitik, die
Vernachlässigung, dass es nicht gelingt, ein Problem wie dieses
anzunehmen und zu lösen», kritisiert Silgueiro.

Bolsonaros Besuch in Mato Grosso am vergangenen Freitag diente - als
er dann einmal gelandet war - übrigens nicht dazu, sich ein Bild von
der Waldbrand-Lage vor Ort zu verschaffen oder gar Beistand zu
leisten. Stattdessen wollte er eine Ethanol-Fabrik einweihen,
Agrar-Produzenten treffen und Landtitel vergeben.