Asylpaket entzweit die EU - Heftige Kritik aus Prag und Budapest

24.09.2020 19:31

Es sollte ein Neuanfang sein: Am Mittwoch hat die EU-Kommission
Vorschläge für eine neue Asyl- und Migrationspolitik vorgelegt. Sie
sollten einen jahrelangen Streit beenden. Doch die nächsten Konflikte
bahnen sich schon an.

Brüssel (dpa) - Auch die neuen Vorschläge zur Reform der Asyl- und
Migrationspolitik entzweien die Europäische Union. Ungarn und
Tschechien äußerten am Donnerstag heftige Kritik am Konzept der
EU-Kommission. Zugleich kam Widerstand aus dem Europaparlament.
Frankreich begrüßte die Ideen hingegen.

Die EU-Staaten streiten seit Jahren erbittert über die Asylpolitk.
Streitpunkt war vor allem, ob und wie Migranten auf alle EU-Staaten
verteilt werden sollen. Deshalb legte die EU-Kommission am Mittwoch
ein neues Konzept vor, das Länder wie Griechenland und Italien vor
allem mit einem stärkeren Grenzschutz entlasten soll sowie mit Hilfe
bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber.

Zugleich will die Behörde, dass alle EU-Staaten ihren Beitrag zur
Migrationspolitik leisten. Dazu sollen Länder, die sich der Aufnahme
von Migranten verweigern, unter anderem für die Rückführung
abgelehnter Asylbewerber verantwortlich sein. Eine verpflichtende
Verteilung von Migranten soll es nur in absoluten Ausnahmen geben.

Nun müssen EU-Staaten und Europaparlament über die Ideen verhandeln.
Die EU-Staaten brauchen für eine Entscheidung keine Einstimmigkeit -
einzelne Gegner könnten also überstimmt werden. Bundesinnenminister
Horst Seehofer will eine politische Einigung bis Ende des Jahres.
Weil Deutschland derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehalt, leitet
der CSU-Politiker die Verhandlungen. Im Vorschlag der EU-Kommission
sieht er eine gute Grundlage.

Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gibt dem Konzept eine Chance:
«Wir denken, dass es eine gute Grundlage ist, und dass man vielleicht
am Ende der EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland zu einer
Verständigung kommen kann», sagte Frank Remus vom UNHCR Deutschland
im SWR. Er warnte jedoch, dass ein schnelles Grenzverfahren keine
«rechtlichen Dinge im Prozess» auslassen dürfe.

In den vergangenen Jahren war jeder Reformversuch im Rat der
EU-Staaten gescheitert. Die Visegrad-Staaten Ungarn, Tschechien,
Polen und die Slowakei, aber auch andere Länder wie Österreich,
lehnen die verpflichtende Aufnahme von Migranten kateogorisch ab.
Südliche EU-Staaten, in denen viele Migranten ankommen, verlangen
hingegen mehr Unterstützung.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban wurde am Donnerstag sogleich
deutlich. «Der grundsätzliche Ansatz ist noch immer unverändert»,
kritisierte er nach einem Treffen mit EU-Kommissionschefin Ursula von
der Leyen sowie seinen Kollegen aus Tschechien und Polen. «Sie
möchten Migration managen und nicht die Migranten stoppen.» Ein
Durchbruch wären seiner Meinung nach Hotspots für Migranten außerhalb

der EU. Versöhnlicher gegenüber den neuen Vorschlägen zeigte sich
indes Budapests Botschafter in Berlin, Peter Györkös. «Seit 2015
haben wir einen langen Weg zurückgelegt, und ich sehe eindeutige
Zeichen einer Annäherung», sagte der Botschafter der «Stuttgarter
Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» (Freitag).

Wie Orban brachte auch Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis
Zentren außerhalb der EU ins Spiel. «Wir müssen Migration stoppen und

die Quoten und die Umverteilung, diese Worte sind für uns nicht
akzeptabel», sagte der Gründer der populistischen Partei ANO. «Wir
brauchen wirklich Hotspots außerhalb von Europa.» Dazu müsse mit
nordafrikanischen Staaten verhandelt werden, zudem brauche es eine
langfristige Strategie für Libyen und Syrien. Es sei jedoch gut, dass
die Quoten vom Tisch seien. Die EU-Staaten hatten vor zwei Jahren
schon einmal erfolglos versucht, sogenannte Ausschiffungsplattformen
in Nordafrika umzusetzen.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte davor, die Vorschläge
vorschnell abzulehnen. «Ich finde es zutiefst uneuropäisch und
unsolidarisch, dass das jetzt teilweise so schnell in der Luft
zerrissen wird», sagte er der Deutsche Presse-Agentur. Es gebe
bestimmt Dinge, die nicht jeder gutheißen könne. Die EU-Kommission
habe aber einen großen Kraftakt unternommen, um zwischen
Verantwortung und Solidarität ein besseres Gleichgewicht zu schaffen.
Dem «Handelsblatt» (Freitag) sagte Asselborn, an den Vorschlägen
müsse indes noch weiter gearbeitet werden: «Es müssen zusätzliche
Mechanismen eingebaut werden, damit nicht nur sechs EU-Länder am Ende
des Tages noch Geflüchtete aufnehmen.»

Frankreich nahm die Vorschläge positiv auf. Die Asylpolitik müsse
überprüft und ein faires Gleichgewicht zwischen Verantwortung und
Solidarität gefunden werden, teilte das Innenministerium mit. Die EU
müsse die Kontrollen an ihren Außengrenzen verstärken, um irregulär
e
Einwanderung einzudämmen. Für Asylberechtigte müsse es eine bessere
Versorgung als bisher geben.

Der griechische Regierungssprecher Stelios Petras machte deutlich,
dass sein Land weiter auf eine gleichmäßige Verteilung von Migranten
besteht. Athen sehe jedoch fünf wichtige Punkte in den neuen
Vorschlägen: die Verstärkung der Grenzkontrollen, rasche
Registrierung der Migranten, schnellere Asylverfahren, ein
Mechanismus zur gerechten Verteilung von Migranten und mehr
Rückführungen von Menschen ohne Schutzanspruch.

Auch aus dem EU-Parlament kam deutliche Kritik an den neuen
Vorschlägen. Mehrere Abgeordnete warnten davor, dass am Rande der EU
erneut Lager wie das zuletzt abgebrannte Moria auf Lesbos entstehen
könnten. Sie habe den Eindruck, dass Länder an den Außengrenzen noch

immer unter großem Druck stehen würden, sagte die SPD-Abgeordnete
Birgit Sippel. Die Linken-Politikerin Cornelia Ernst sagte, es
handele sich um einen Pakt für maximale Abschiebungen. Auch die AfD
lehnt den Vorschlag ab und rief zu einer Kampagne gegen den Vorschlag
auf. Ziel sei, mindestens eine Million Unterschriften zu sammeln.