Corona-Rekordwerte: Europa stemmt sich gegen die zweite Welle

25.10.2020 18:59

Überall in Europa melden Behörden Rekordzahlen bei
Corona-Neuinfektionen und suchen ihr Heil in immer mehr
Alltagsbeschränkungen. Denn eines wollen sie unbedingt verhindern.

Brüssel/Washington (dpa) - Rasant steigende Corona-Zahlen treiben
viele EU-Staaten zu immer härteren Maßnahmen gegen die Pandemie.
Spanien rief am Sonntag erneut den nationalen Notstand aus.
Tschechien, Belgien, Frankreich und andere Staaten meldeten
Rekordwerte bei Neuansteckungen. Auch mehrere Politiker wurden
positiv getestet. Ausgangsbeschränkungen und Auflagen sollen die
zweite Welle bremsen, auch in Italien und Österreich. Höchstwerte von
mehr als 83 000 Neuinfektionen pro Tag registrierten auch die USA.

Die Vereinigten Staaten verzeichnen inzwischen etwa 225 000
Todesfälle in Verbindung mit dem Coronavirus, mehr als jedes andere
Land der Welt. Während Präsident Donald Trump im Wahlkampf die
Pandemie herunterspielt, wirft ihm sein Herausforderer Joe Biden
Versagen vor. Auch aus China, das die Pandemie mit rigorosen
Maßnahmen unter Kontrolle zu haben schien, kamen am Sonntag
beunruhigende Nachrichten: Nach positiven Corona-Tests bei 137
Menschen lösten die Behörden in Xinjiang Gesundheitsalarm aus.

In Europa gehen Infektions- und Sterbezahlen steil nach oben. Bis
Sonntag registrierte die EU-Seuchenbehörde ECDC 208 627 Todesfälle
mit oder wegen Corona für die 27 EU-Staaten, Island, Liechtenstein,
Norwegen und Großbritannien.

Gemessen an der Bevölkerung sind die kleinen EU-Länder Tschechien
(10,7 Millionen Einwohner) und Belgien (11,5 Millionen Einwohner) am
härtesten getroffen. Die Infektionszahlen je 100 000 Einwohner waren
in den vergangenen 14 Tagen nach ECDC-Angaben jeweils fast zehn Mal
so hoch wie in Deutschland (83 Millionen Einwohner). Beide Länder
meldeten am Wochenende Rekordwerte von mehr als 15 000 Ansteckungen
an einem einzigen Tag.

In Frankreich (67 Millionen Einwohner) wurde mit 45 000 neuen
Infektionen pro Tag ebenfalls der bisherige Höchstwert überschritten.
Seit Samstag gilt dort eine nächtliche Ausgangssperre für rund zwei
Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner.

Auch in Belgien hat die Regierung bereits eine nächtliche
Ausgangssperre verfügt, dazu die Schließung von Kneipen und
Restaurants und strikte Kontaktbeschränkungen. Die Regionalregierung
für Brüssel schärfte dies am Wochenende noch nach. Ab Montag gilt in

der Hauptstadt überall Maskenpflicht, alle Theater, Kinos, Museen,
Sportstätten und Schwimmbäder werden geschlossen. Heimarbeit ist -
soweit möglich - Pflicht.

Überall in Europa ziehen Regierungen wieder die Bremse an - auch in
dem verzweifelten Bemühen, einen kompletten Lockdown zu vermeiden.
Der nationale Notstand in Spanien soll dazu dienen, eine nächtliche
Ausgangssperre verhängen zu können. Er gilt seit Sonntag für zunäch
st
zwei Wochen. Ministerpräsident Pedro Sánchez hofft aber auf eine
Verlängerung um gleich sechs Monate bis zum 9. Mai, sofern das
Parlament zustimmt. «Europa und Spanien sind mitten in der zweiten
Welle», sagte Sánchez.

In Italien sollen ab Montag bis zum 24. November Kinos, Theater,
Fitnessstudios, Bäder, Skiresorts und Konzerthallen nicht mehr
öffnen, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Restaurants und Bars
müssen um 18 Uhr schließen. Ferner muss der Unterricht für mindestens

75 Prozent der Gymnasialschüler online abgehalten werden.

In Österreich gilt seit Sonntagnacht in Restaurants eine Höchstzahl
von sechs statt bisher zehn Erwachsenen pro Tisch. Bei Tanz- oder
Yogakursen oder privaten Geburtstagsfeiern dürfen sich nur noch sechs
Personen treffen, draußen zwölf. Auch Österreich (8,8 Millionen
Einwohner) hatte am Samstag einen Rekordwert bei Neuinfektionen
erreicht: 3614 Fälle binnen 24 Stunden. Bei der Ansteckungszahl pro
100 000 liegt Österreich nach ECDC-Angaben mehr als doppelt so hoch
wie Deutschland.

In der Slowakei dürfen Menschen seit Samstag bis zum 1. November ihre
Wohnungen nur für den Weg zur Arbeit sowie dringende Besorgungen
verlassen. Am Freitag begannen Antigen-Schnelltests für die gesamte
Bevölkerung, die binnen drei Wochen abgeschlossen sein sollen.
Ministerpräsident Igor Matovic meldete am Sonntag 3024 Neuinfektionen
binnen 24 Stunden - auch das ein Rekordwert.

In Polen bleiben Restaurants zu, Versammlungen mit mehr als fünf
Personen verboten. In Slowenien schließen die meisten Geschäfte,
Hotels, Kindergärten, Studentenheime, Friseur- und Schönheitssalons.
In Lettland dürfen bei Veranstaltungen in Räumen nur noch maximal
zehn Personen zusammenkommen. In der bulgarischen Hauptstadt Sofia
wurden alle Nachtlokale wie Diskos, Bars und Clubs geschlossen.
Dänemark erlaubt die Einreise aus Deutschland nur noch aus
triftigem Grund. Das dänische Gesundheitsinstitut SSI registrierte
mit 945 Neuinfektionen in 24 Stunden ebenfalls einen Rekord.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bahnt sich das Virus immer wieder den
Weg bis in die höchste Politik. In Polen wurde Präsident Andrzej Duda
positiv auf das Coronavirus getestet, in Bulgarien Ministerpräsident
Boiko Borissow, in Italien sowohl der Sprecher von Staatspräsident
Sergio Mattarella als auch der von Ministerpräsident Giuseppe Conte.

In Washington traf es den Stabschef von US-Vizepräsident Mike Pence -
Pence selbst wurde aber nach Angaben eines Sprechers aber negativ
getestet. Präsident Trump hatte eine Covid-Erkrankung Anfang Oktober
überstanden. In der türkischen Metropole Istanbul steckte sich
Bürgermeister Ekrem Imamoglu an, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew
Bürgermeister Vitali Klitschko - kurz bevor der Ex-Boxweltmeister am
Sonntag für eine zweite Amtszeit kandidierte.

Wie in Deutschland lehnen sich auch andernorts Bürger gegen die
Beschränkungen auf. In Italiens Hauptstadt Rom kam es bei Protesten
gegen Ausgangssperren in der Nacht zum Sonntag zu Ausschreitungen,
wie die Nachrichtenagentur Adnkronos und andere Medien berichteten.
In der Nacht zuvor hatte es in Neapel Proteste gegeben. In Brüssel
zerstreute die Polizei eine Gruppe von 200 Demonstranten.

In London demonstrierten Tausende Menschen gegen die Corona-Maßnahmen
der britischen Regierung und sprachen von Tyrannei oder Überwachung.
Die Regierung in Wales erntete mit einem Verkaufsverbot für etliche
Waren in Supermärkten massive Kritik. Diese dürfen nur noch
«essenzielle Waren» verkaufen - Geräte wie Wasserkocher, Textilien,
aber auch Postkarten oder Geschirr sind in den Läden mit
Plastikfolien oder anderen Barrieren abgesperrt.