Deutschland droht Schlappe bei Lkw-Maut - was darf berechnet werden? Von Klaus Blume und Andreas Hoenig, dpa

28.10.2020 06:15

Wieder geht es beim Europäischen Gerichtshof um eine deutsche Maut.
Diesmal aber nicht um die Pkw-Maut, die krachend scheiterte - sondern
um die Lkw-Maut. Sind die Gebühren überhöht?

Berlin/Luxemburg (dpa) - Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilt
am Mittwoch über die Berechnung der deutschen Lkw-Maut. Strittig ist
die genaue Berechnung der Straßennutzungsabgabe. Deutschland droht
eine Niederlage.

Worum genau geht es?

Eine polnische Spedition hat beim Oberverwaltungsgericht Münster auf
die Rückzahlung deutscher Autobahnmaut aus den Jahren 2010 und 2011
geklagt. Aus ihrer Sicht verstoßen die Mautsätze gegen die
EU-Wegekostenrichtlinie. Wichtigster Streitpunkt sind Kosten für die
Verkehrspolizei. Die deutschen Richter haben den EuGH um Auslegung
der Richtlinie gebeten, wonach bei Mautgebühren nur
«Infrastrukturkosten» angesetzt werden dürfen.

Was hat der Generalanwalt gesagt?

EuGH-Gutachter Henrik Saugmandsgaard Øe befand, dass die Kosten für
den Verkehrspolizei da nicht hineingehörten. Spielraum bei der
Berechnung sieht er nicht. Selbst eine geringfügige Überschreitung
der Infrastrukturkosten bei den Mautgebühren verletzte EU-Recht.
Häufig folgen die obersten EU-Richter ihren Gutachtern. Der Gutachter
empfiehlt dem EuGH auch, einen Antrag der Bundesregierung abzulehnen,
mit dem die zeitliche Wirkung eines Urteils zulasten der
Bundesrepublik begrenzt werden soll. Der von der Bundesrepublik in
der mündlichen Verhandlung genannte Betrag von 200 Millionen Euro pro
Jahr für Ausgaben für die Verkehrspolizei reiche nicht aus, um eine
«Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen» nachzuweisen.

Worum geht es bei der Lkw-Maut?

Die Lkw-Maut auf Bundesautobahnen wurde 2005 eingeführt. Damit wurde
laut Verkehrsministerium ein Systemwechsel vollzogen - weg von der
Steuer- und hin zur Nutzerfinanzierung des Fernstraßenbaus. Denn
gerade schwere Lastwagen verschleißen die Straßen. Inzwischen ist die
Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausgeweitet worden. Sie gilt für
Lastwagen ab 7,5 Tonnen. Bei der Abgabe gibt es eine Differenzierung
nach dem Schadstoffausstoß der Fahrzeuge.

Ein wesentlicher Bestandteil der Infrastrukturkosten sind laut
Berechnung der Wegekosten für das Bundesfernstraßennetz für die
Jahre 2018 bis 2022 Betriebs-, Unterhaltungs- und
Mauteinzugskosten sowie Aufwendungen für die Polizei.

Pläne für eine deutsche Pkw-Maut hatte der EuGH im Juni 2019 gekippt,
weil sie Fahrer aus dem Ausland benachteilige. Bundesverkehrsminister
Andreas Scheuer (CSU) ist deswegen schwer unter Druck. Wegen
möglichen Verstößen gegen das Haushalts- und Vergaberecht läuft ein

Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Welche Folgen könnte das Urteil haben?

Zum einen droht, dass Deutschland Mautgebühren zurückerstatten muss.
Zum anderen könnte der Bund bei einer möglichen Neuregelung von
Infrastrukturkosten künftig Einnahmen verlieren. Der Bund nimmt
bisher durch die Lkw-Maut Einnahmen von rund 7 Milliarden Euro im
Jahr ein, die für die Fernstraßen verwendet werden. Welche Summen im
Feuer stehen könnten, ist unklar. Das Verkehrsministerium in Berlin
hüllte sich vor dem Urteil in Schweigen. Durch das Urteil könnte auch
die Debatte um eine Neufassung der Eurovignetten-Richtlinie, die auch
Wegekostenrichtlinie heißt, Fahrt aufnehmen. Sie regelt die
Straßenbenutzungsgebühren für schwere Nutzfahrzeuge.

Nach einem Urteil des EuGH muss über den konkreten Fall in dem
Musterverfahren noch das Oberverwaltungsgericht in Münster
entscheiden. Als möglich gilt dann noch eine Revision beim
Bundesverwaltungsgericht.