Lagarde: EZB legt im Dezember gegen Corona-Krise nach

29.10.2020 15:50

Die zweite Corona-Welle hält die EZB in Alarmbereitschaft. Die
Vorbereitungen für weitere Antikrisen-Maßnahmen laufen bereits auf
Hochtouren.

Frankfurt/Main (dpa) - Europas Währungshüter bereiten angesichts der
Verschärfung der Corona-Krise weitere Notfallmaßnahmen vor. Die
Europäische Zentralbank (EZB) sei dabei, alle ihre Instrumente und
deren Wirkung unter die Lupe zu nehmen, sagte Notenbank-Präsidentin
Christine Lagarde, nach Beratungen des EZB-Rates am Donnerstag in
Frankfurt. Es gehe darum, den «bestmöglichen Mix» zu finden, um der
Lage gerecht werde.

Der EZB-Rat sei sich einig, dass weitere Maßnahmen notwendig seien,
sagte Lagarde. «Die EZB wird auch in der zweiten Welle da sein.» Die
Risiken für die Konjunktur nähmen eindeutig zu. Lagarde betonte: «Wir

werden alle Flexibilität nutzen, die wir haben.»

In ihrer Dezember-Sitzung (10.12.) wollen die Währungshüter anhand
neuer Prognosen zu Konjunktur und Inflation eine «gründliche
Neubeurteilung» vornehmen. Auf Grundlage der aktualisierten
Einschätzung werde die EZB ihre «Instrumente der Lage entsprechend
neu kalibrieren, um (...) sicherzustellen, dass die
Finanzierungsbedingungen günstig bleiben, um die wirtschaftliche
Erholung zu unterstützen und den negativen Auswirkungen der Pandemie
(...) entgegenzuwirken», teilte die Notenbank mit.

Volkswirte gehen davon aus, dass der EZB-Rat eine Ausweitung des
Notkaufprogramms für Staats- und Unternehmensanleihen beschließen
dürfte. Bislang sind für das in diesem März aufgelegte, besonders
flexible Kaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme)
1,35 Billionen Euro bis mindestens Ende Juni 2021 veranschlagt. Die
Wertpapierkäufe helfen Staaten wie Unternehmen: Sie müssen nicht so
hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer der
Papiere am Markt auftritt.

Zuletzt mehrten sich die Anzeichen, dass die Erholung der Wirtschaft
im Euroraum ins Stocken gerät. Das Coronavirus breitet sich wieder
massiv aus. In vielen Ländern, darunter auch Deutschland, schränken
die Regierungen das öffentliche Leben erneut ein. Der Anstieg der
Infektionszahlen und die neuen Beschränkungen bedeuteten Gegenwind
für die Konjunktur, sagte Lagarde. Es zeichne sich ab, dass die
Erholung der Wirtschaft im Euroraum «schneller als erwartet an
Dynamik» verliere.

Die seit einem Jahr amtierende Notenbank-Präsidentin hatte erst
kürzlich in einem Interview betont, die geldpolitischen Möglichkeiten
seien noch nicht ausgeschöpft: «Wenn mehr getan werden muss, werden
wir mehr tun.» Außer mit zusätzlichen Anleihenkäufen hat die EZB au
f
die Pandemie bislang mit neuen extrem günstigen Langfristkrediten für
Banken reagiert.

Bei den Zinsen hat die EZB wenig Spielraum. Der Leitzins im
Währungsraum der 19 Staaten liegt seit viereinhalb Jahren auf dem
Rekordtief von null Prozent und bleibt auch nach der Zinssitzung vom
Donnerstag auf diesem Niveau. Geschäftsbanken müssen seit Mitte Juni
2014 Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Dieser
Einlagenzins bleibt bei minus 0,5 Prozent. Freibeträge für bestimmte
Summen sollen die Banken hierbei entlasten.

Nach Einschätzung der Bundesbank waren die Negativzinsen in Summe
bisher kein Problem für Deutschlands Banken. Allerdings nehme die
Wahrscheinlichkeit zu, dass in einer Gemengelage aus Abschwung der
Konjunktur, steigender Vorsorge für mögliche Kreditausfälle und
schrumpfenden Kapitalpuffern ein Punkt erreicht werde, an dem
Negativzinsen ihre Wirkung einbüßten oder sich diese ins Gegenteil
verkehre.

Mit ihrer seit Jahren expansiven Geldpolitik will die EZB die
Wirtschaft ankurbeln und ihrem Ziel eines stabilen Preisniveaus bei
knapp unter 2,0 Prozent Inflation näher kommen. Umweltschützer werfen
der EZB vor, bei ihren milliardenschweren Anleihenkäufen zu viele
Wertpapiere von Unternehmen zu kaufen, die dem Klima schaden. Das
globalisierungskritische Netzwerk Attac hatte daher für Donnerstag
zur Demonstration vor dem EZB-Gebäude in Frankfurt aufgerufen.

Derzeit läuft eine umfassende Überprüfung der geldpolitischen
Strategie. Dabei setzt Lagarde unter anderem auf den Dialog mit
Kritikern. Die Französin, die ihr Amt am 1. November 2019 antrat,
will auch dem Klimawandel in den Überlegungen Raum geben.