EU-Ratschef: «Wir sitzen alle im selben Boot» bei Corona

29.10.2020 23:05

Zu Anfang der Pandemie machte in der EU jeder seins. Inzwischen geben
sich die 27 Staaten mehr Mühe, an einem Strang zu ziehen. Aber für
Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt eine große Sorge.

Brüssel (dpa) - In Kampf gegen die dramatische zweite Corona-Welle
proben die EU-Staaten den Schulterschluss. «Wir sitzen alle im selben
Boot», sagte EU-Ratschef Charles Michel nach einem Videogipfel der 27
EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend. Bundeskanzlerin
Angela Merkel forderte ein koordiniertes Vorgehen und warnte vor
allem vor erneuten Grenzschließungen im Binnenmarkt.

Konkret verabredeten die Staats- und Regierungschefs in der rund
dreistündigen Sitzung, gemeinsame Test- und Impfstrategien
voranzutreiben und die unterschiedlichen Corona-Warn-Apps für Handys
zu harmonisieren. Die 22 verschiedenen Apps sollen noch im November
miteinander kompatibel werden, wie EU-Kommissionschefin Ursula von
der Leyen sagte.

Fast alle EU-Staaten verzeichnen inzwischen stark steigende
Infektionszahlen. Allein vergangene Woche gab es in Europa nach
Angaben der EU-Kommission 1,1 Millionen bestätigte Corona-Fälle,
täglich werden etwa 1000 Covid-19-Todesfälle registriert. Die
Intensivstationen füllen sich. Nicht nur Deutschland fährt das
öffentliche Leben zurück, sondern auch andere Länder wie Frankreich,

Italien, Spanien, Belgien und Tschechien.

Ratschef Michel sagte, im Kampf gegen die Pandemie brauche es einen
gemeinsamen Ansatz bei der Verbreitung und Nutzung von Schnelltests.
Die «Interoperabilität» der Smartphone-Apps solle bei der
Kontaktverfolgung helfen. Man habe außerdem darüber gesprochen, die
Quarantänedauer in Europa zu harmonisieren.

Man wolle ferner, dass Impfstoffe effizient genutzt werden könnten,
sobald sie zur Verfügung stünden. Man müsse einen logistischen Ansatz

für effiziente Impfkampagnen finden sowie kommunikativ gegen «Fake
News» zu Impfungen vorgehen.

Auch Bundeskanzlerin Merkel betonte die Bedeutung des koordinierten
Vorgehens. «Gerade für Deutschland als Land in der Mitte Europas ist
es wichtig, dass die Grenzen offen bleiben, dass es einen
funktionierenden Wirtschaftskreislauf gibt und dass wir gemeinsam die
Pandemie bekämpfen», erklärte die CDU-Politikerin über ihren Sprech
er
Steffen Seibert.

Zuvor hatte die Kanzlerin in einer Regierungserklärung im Bundestag
am Donnerstagmorgen die Pandemie als Bewährungsprobe für Europa
beschrieben - auch im weltweiten Wettbewerb der Systeme. Sie sei aber
«überzeugt, dass wir europäisch auf die gegenwärtige Situation bess
er
vorbereitet sind als zu Beginn der Pandemie».

Im Frühjahr hatte es bei der Zusammenarbeit in der EU sehr geholpert.
Die Partner verärgerten sich gegenseitig mit Grenzschließungen und
Exportstopps für Schutzkleidung. Zeitweise stauten sich Lastwagen an
den Grenzen über Dutzende Kilometer. Seither geben sich die Staaten
mehr Mühe, an einem Strang zu ziehen.

Allerdings: In der Gesundheitspolitik hat die EU kaum mitzureden, das
ist Sache der Mitgliedstaaten. Die Kompromisssuche bei Regeln zur
Corona-Ampel für eine einheitliche Bewertung von Hotspots dauerte
Wochen. Die EU-Staaten gelobten zwar immer enge Zusammenarbeit,
wollten ihren Freiraum aber dann doch nicht einschränken, sagte ein
Diplomat am Donnerstag.

EU-Kommissionschefin von der Leyen hatte am Mittwoch mit Blick auf
den Videogipfel konkrete Vorschläge gemacht und trug sie nach eigenen
Worten auch den Staats- und Regierungschefs vor. So sollten die
Staaten mehr Informationen etwa über freie Intensivbetten
austauschen. Die Kommission werde 220 Millionen Euro für
Krankentransporte mobilisieren. Zudem soll eine Experten-Plattform
eingerichtet werden.

«Massives Testen» sei nun notwendig, unter anderem mit neuen
Antigen-Schnelltests, sagte von der Leyen weiter. Und beim Thema
Impfstoffe sei wichtig, dass sie einerseits schnell zugelassen
würden, aber auch sicher seien und dann gerecht verteilt würden.