Merkel: Keine Lösung im EU-Haushaltsstreit - Mehr Einigkeit bei Covid

19.11.2020 22:22

Die Zerreißprobe der EU im Streit über Geld und Rechtsstaatlichkeit
ist noch nicht überwunden. Aber immerhin im Kampf gegen die Pandemie
versuchen die Staaten, an einem Strang zu ziehen.

Berlin/Brüssel (dpa) - Nach der Blockade des EU-Haushalts und der
Corona-Konjunkturhilfen durch Ungarn und Polen hat ein Videogipfel
der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag keinen Durchbruch
gebracht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte anschließend, das
Problem sei schwierig und und sie könne über Optionen noch nichts
sagen. Optimistischer bewertete Merkel dagegen die Zusammenarbeit der
27 Staaten im Kampf gegen die Corona-Pandemie.

So könnte schon in der zweiten Dezemberhälfte der erste Impfstoff in
Europa zugelassen werden - das sagten sowohl Merkel als auch
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die sich auf Informationen
der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA bezog. Merkel sagte: «Man
muss ja sagen, dass die Nachrichten der letzten Tage bezüglich der
Entwicklung eines Impfstoffes sehr zuversichtlich stimmen.»

Die EU-Länder suchen zudem eine gemeinsame Linie bei der Handhabe der
Anti-Corona-Maßnahmen um die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage. Es
gebe eine hohe Bereitschaft, sich abzustimmen, sagte Merkel. Das gilt
auch für die Nutzung von Antigen-Tests, die in ihrer Qualität sehr
unterschiedlich sind. Eine Bewertung durch die EU-Kommission soll es
ermöglichen, dass man die Ergebnisse gegenseitig anerkennt.

Die Zusammenarbeit in der Corona-Krise war das eigentliche Thema der
Videokonferenz. Sie wurde aber vom Haushaltsstreit überschattet, der
die Europäische Union in eine tiefe Krise gestürzt hat.

Ungarn und Polen hatten am Montag ihr Veto gegen einen zentralen
Haushaltsbeschluss eingelegt. Sie stoßen sich an einer neuen Klausel
zur Kürzung von Geldern bei bestimmten Rechtsstaatsverstößen in den
Empfängerländern. Mit ihrem Nein ist das gesamte 1,8 Billionen Euro
schwere Haushaltspaket für die nächsten sieben Jahre vorerst
blockiert. Das schließt 750 Milliarden Euro an Corona-Hilfen ein, auf
die viele EU-Staaten dringend hoffen.

EU-Ratschef Charles Michel sagte, man brauche dringend eine Lösung:
Der Haushalt müsse so schnell wie möglich umgesetzt werden.
Eigentlich soll das gesamte Paket zum 1. Januar in Kraft treten.
Gelingt keine Einigung, müsste mit einem Nothaushalt gearbeitet
werden. Die Corona-Hilfen lägen dann auf Eis.

Deutschland hat derzeit den Vorsitz der EU-Länder, so dass Merkel
eine Vermittlerrolle zukommt. Die Bundeskanzlerin wollte sich nicht
festlegen, ob bis Weihnachten eine Lösung gefunden werden kann. «Das
ist ein schon sehr ernsthaftes Problem, das wir zu lösen haben»,
sagte sie. «Wir werden hart und ernsthaft daran arbeiten.»
Deutschland werde alle möglichen Optionen ausloten. «Da stehen wir
noch ganz am Anfang», sagte die Kanzlerin.

Auf die Frage, ob es für sie eine Option sei, Polen und Ungarn mit
einem Entzug der Stimmrechte zu drohen, sagte Merkel: «Für mich ist
das Wort Drohung in diesem Zusammenhang sowieso kein Wort. Wir haben
die Pflicht, zu versuchen, einen Weg zu finden.»

Sie habe in der Runde am Abend deutlich gemacht, dass sie den mit dem
EU-Parlament ausgehandelten Kompromiss für gut und ausgewogen halte,
sagte Merkel. Auf der anderen Seite hätten auch Ungarn und Polen
bekräftigt, dass sie der Rechtsstaatsklausel nicht zustimmen könnten.
Im EU-Parlament werde es in der nächsten Woche daher keine Abstimmung
geben.

Die neue Rechtsstaatsklausel war im Prinzip bereits im Juli
vereinbart worden, als die Staats- und Regierungschefs bei einem
fünftägigen Gipfel das 1,8 Billionen Euro schwere Haushaltspaket
schnürten. Doch war die Formulierung damals sehr vage. Ungarn und
Polen bemängeln, die damaligen Absprachen seien nicht korrekt
umgesetzt worden. Die Details hatte die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft mit dem Europaparlament ausgehandelt.

Das EU-Parlament will davon nicht mehr abrücken, wie Präsident David
Sassoli gemeinsam mit den Fraktionschefs erklärte. Europapolitiker
fast aller Parteien sind erbost über die Haltung Ungarns und Polens,
für die auch Slowenien Sympathie zeigt.

Die EU-Kommission hat Polen und Ungarn immer wieder wegen
Rechtsstaatsverstößen kritisiert, unter anderem wegen des Umbaus der
Justiz. Beide Staaten könnten also vom Rechtsstaatsmechanismus
betroffen sein.