Türkei erzwingt Abbruch von deutscher Waffenembargo-Kontrolle Von Ansgar Haase, dpa

23.11.2020 14:09

Mit dem Veto gegen eine bereits laufende Waffenembargo-Kontrolle geht
die Türkei einmal mehr auf Konfrontationskurs zu Deutschland und zur
EU. Die möglichen Konsequenzen scheinen die Regierung in Ankara nicht
zu schrecken.

Berlin/Ankara (dpa) - Die Türkei provoziert trotz drohender
Sanktionen neue schwere Spannungen mit Deutschland und der EU. Nach
Angaben der Bundeswehr erzwang Ankara am Sonntag den Abbruch eines
Einsatzes deutscher Marinesoldaten zur Kontrolle des
UN-Waffenembargos gegen Libyen. Aus dem Bundestag kam scharfe Kritik.
In Brüssel wurde darauf hingewiesen, dass beim nächsten EU-Gipfel am
10. und 11. Dezember über mögliche weitere Strafmaßnahmen gegen die
Türkei gesprochen werden soll.

Nach Angaben des Einsatzführungskommandos waren die deutschen
Soldaten am Sonntagabend rund 200 Kilometer nördlich der libyschen
Stadt Bengasi an Bord eines verdächtigen Frachtschiffes gegangen, um
die Ladung zu kontrollieren. Wenig später legte dann allerdings die
Türkei als Flaggenstaat ein Veto gegen die Durchsuchung des
Containerfrachters ein. Die deutschen Soldaten mussten daraufhin den
Einsatz abbrechen.

Um die Risiken einer nächtlichen Rückkehr zur Fregatte «Hamburg» zu

vermeiden, blieben sie jedoch noch bis zum Sonnenaufgang an Bord der
«Rosaline A». Die Besatzung des türkischen Containerschiffes habe
sich während des ganzen Einsatzes kooperativ gezeigt, hieß es.

Ob das Nato-Land Türkei seine Veto-Möglichkeit gegen die Durchsuchung
nutzte, weil die «Rosaline A» wirklich Waffen oder andere verbotene
Güter an Bord hatte, blieb zunächst unklar. Denkbar wäre auch, dass
sie lediglich noch einmal ihren Widerstand gegen die als parteiisch
angesehene EU-Operation «Irini» zum Ausdruck bringen wollte, in deren
Rahmen der Einsatz der Bundeswehrsoldaten erfolgte.

Dafür könnte auch sprechen, dass der Auftrag zum Boarding durch den
griechischen Befehlshaber der Operation «Irini» gegeben wurde. Wegen
türkischer Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer ist das
Verhältnis zwischen Ankara und Athen derzeit äußerst angespannt.
Griechenland hat zusammen mit Zypern auch dafür gesorgt, dass beim
EU-Gipfel im Dezember weitere Sanktionen gegen die Türkei diskutiert
werden sollen.

In Ankara wurde Kritik am Vorgehen der Türkei unterdessen
zurückgewiesen. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu
berichtete, die «Rosaline A» habe lediglich Hilfsgüter geladen. Nach

ihrer Darstellung gingen die deutschen Soldaten ohne Erlaubnis an
Bord, das bewerteten Sicherheitskreise als «rechtswidrige Handlung»,
hieß es. Das türkische Schiff habe stundenlang unter schweren
Wetterbedingungen ausharren müssen, bevor es weiter in Richtung
Libyen fahren konnte.

Aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam hieß es dagegen, die
Türkei sei über die Pläne für die Durchsuchung des Schiffes
informiert worden und habe vier Stunden lang nicht reagiert. Dies sei
gemäß der Einsatzregeln als stillschweigendes Einverständnis für da
s
Boarding gewertet worden.

Der Einsatz zur Waffenembargo-Kontrolle war von der EU gestartet
worden, weil in Libyen seit dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar
al-Gaddafi im Jahr 2011 Bürgerkrieg herrscht. Die Regierungstruppen
werden von der Türkei unterstützt, ihr Gegner, General Chalifa
Haftar, von Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten
und Russland. Zuletzt einigten sich die Konfliktparteien Ende Oktober
auf einen Waffenstillstand. Ob er hält, gilt aber als unsicher.

Im September hatte die Besetzung der deutschen Fregatte «Hamburg» bei
der Kontrolle eines aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kommenden
Tankschiffes unter das Waffenembargo fallendes Kerosin entdeckt.
Zudem wurden zuletzt EU-Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die
Schiffe, Flugzeuge oder andere Logistik für den Transport von
Kriegsmaterial bereitgestellt haben. Konkret geht es um drei Firmen
aus der Türkei, Jordanien und Kasachstan. Mit der Sanktionierung von
Unternehmen aus mehreren Länder wollte die EU auch deutlich machen,
dass sie nicht wie von der Türkei behauptet nur Waffenlieferungen an
die libysche Regierung verhindern will, nicht aber an den
gegnerischen Milizenführer Haftar.

Für Deutschland, Frankreich und Italien ist eine Lösung des
Libyen-Konflikts auch wichtig, weil die chaotischen Zustände das
Geschäft von Schlepperbanden begünstigen, die Migranten illegal über

das Mittelmeer nach Europa bringen.

Aus dem Bundestag kam am Montag scharfe Kritik am Vorgehen der
Türkei. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann rief
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) auf, umgehend Stellung beziehen.
«Es ist ein Unding, dass die Türkei zum wiederholten Male versucht,
die Kontrolle ihrer Schiffe zu behindern», kritisierte die
verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. «Wenn
wir das zulassen, können wir die Mission beenden.»

Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen forderte, als Konsequenz der
Ereignisse müsse die Bundesregierung endlich die Waffenexporte an die
Türkei und alle anderen «Libyen-Brandstifter» stoppen.

Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die deutsche Rüstungsindustrie
seit 2004 Kriegsschiffe oder Teile dafür im Wert von 1,5 Milliarden
Euro in die Türkei exportiert hat.

Solche Rüstungslieferungen sind inzwischen wegen des Konflikts der
Nato-Partner Griechenland und Türkei um Erdgasvorkommen im östlichen
Mittelmeer höchst umstritten. Bisher unterbindet die Bundesregierung
nur den Export von Rüstungsgütern an die Türkei, die im Syrien-Krieg

eingesetzt werden können. Güter für den «maritimen Bereich» werde
n
aber weiter genehmigt und ausgeführt.

Die Regierung des EU-Partners Griechenland hat Deutschland vor
einigen Wochen aufgefordert, den Exportstopp auf Kriegsschiffe
auszuweiten. Das betrifft insbesondere den Bau von sechs U-Booten der
Klasse 214, die in der Türkei unter maßgeblicher Beteiligung des
Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems montiert werden.