Eklat im Mittelmeer: Türkei erzwingt Abbruch von Bundeswehreinsatz Von Ansgar Haase, dpa

23.11.2020 15:44

Mit dem Veto gegen eine bereits laufende Waffenembargo-Kontrolle geht
die Türkei einmal mehr auf Konfrontationskurs zu Deutschland und zur
EU. Die möglichen Konsequenzen scheinen die Regierung in Ankara nicht
zu schrecken. Sie wirft Deutschland Gewaltanwendung vor.

Berlin/Ankara/Brüssel (dpa) - Die Türkei provoziert trotz drohender
Sanktionen neue schwere Spannungen mit Deutschland und der EU. Nach
Angaben der Bundeswehr erzwang Ankara am Sonntag den Abbruch eines
Einsatzes deutscher Marinesoldaten zur Kontrolle des
UN-Waffenembargos gegen Libyen. Aus dem Bundestag kam scharfe Kritik.
In Brüssel wurde darauf hingewiesen, dass beim nächsten EU-Gipfel am
10. und 11. Dezember über mögliche weitere Strafmaßnahmen gegen die
Türkei gesprochen werden soll.

Die Regierung in Ankara prangerte hingegen eine «heuchlerische und
gesetzeswidrige Behandlung» von türkischen Frachtschiffen an, die
nach Libyen unterwegs seien. Der blockierte Einsatz deutscher
Soldaten sei «ohne Befugnis und mit Gewaltanwendung» durchgeführt
worden und keinesfalls zu akzeptieren, hieß es am Montag aus dem
Außenministerium in Ankara.

Bei dem Einsatz am Sonntagabend waren die deutschen Soldaten nach
Angaben des Einsatzführungskommandos rund 200 Kilometer nördlich der
libyschen Stadt Bengasi an Bord eines verdächtigen Frachtschiffes
gegangen, um die Ladung zu kontrollieren. Einige Stunden später habe
dann allerdings die Türkei als Flaggenstaat ein Veto gegen die
Durchsuchung des Containerfrachters eingelegt. Die deutschen Soldaten
mussten daraufhin den Einsatz abbrechen.

Die Besatzung des türkischen Containerschiffes habe sich während des
ganzen Einsatzes kooperativ gezeigt, hieß es von der Einsatzführung.
Die Besatzung des Frachtschiffes habe den deutschen Soldaten sogar
ermöglicht, nach Abbruch der Durchsuchung noch bis zum Sonnenaufgang
an Bord zu bleiben, um die Risiken einer nächtlichen Rückkehr zur
Fregatte «Hamburg» zu vermeiden.

Ob das Nato-Land Türkei seine Veto-Möglichkeit gegen die Durchsuchung
nutzte, weil die «Rosaline A» wirklich Waffen oder andere verbotene
Güter an Bord hatte, blieb zunächst unklar. Denkbar wäre auch, dass
sie lediglich noch einmal ihren Widerstand gegen die als parteiisch
angesehene EU-Operation «Irini» zum Ausdruck bringen wollte, in deren
Rahmen der Einsatz der Bundeswehrsoldaten erfolgte.

Dafür könnte auch sprechen, dass der Auftrag zum Boarding durch den
griechischen Befehlshaber der Operation «Irini» gegeben wurde. Wegen
türkischer Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer ist das
Verhältnis zwischen Ankara und Athen derzeit äußerst angespannt.
Griechenland hat zusammen mit Zypern auch dafür gesorgt, dass beim
EU-Gipfel im Dezember weitere Sanktionen gegen die Türkei diskutiert
werden sollen.

Nach Angaben des türkischen Außenministeriums hatte die «Rosaline A
»
lediglich Farbmaterial und Hilfsgüter geladen. Wegen des Einsatzes
der deutschen Soldaten solle nun Entschädigung gefordert werden. Die
gesamte Besatzung einschließlich des Kapitäns sei zwangsweise einer
Leibesvisitation unterzogen worden. In einem von einer türkischen
Nachrichtenwebsite veröffentlichten Video ist zu sehen, wie
Boardingsoldaten ein Besatzungsmitglied eskortieren, das die Hände
über den Kopf hält und sich mit einem anderen Mann eine erregte
Diskussion liefern.

Aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam wurde hingegen jegliche
Kritik am Vorgehen der deutschen Soldaten zurückgewiesen. Das
Boarding-Team habe jederzeit rechtmäßig und im Einklang mit den
Regularien gehandelt, sagte ein Sprecher. Die Durchsuchung der
Besatzung nach Waffen sei Teil des Standardverfahrens zum Eigenschutz
der Soldaten.

Die Türkei war demnach auch über die Pläne für die Durchsuchung des

Schiffes informiert. Erst nachdem sie vier Stunden lang nicht
reagiert hatte, wurde dies gemäß den Einsatzregeln als
stillschweigendes Einverständnis für das Boarding gewertet.

Der Einsatz zur Waffenembargo-Kontrolle war von der EU gestartet
worden, weil in Libyen seit dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar
al-Gaddafi im Jahr 2011 Bürgerkrieg herrscht. Die Regierungstruppen
werden von der Türkei unterstützt, ihr Gegner, General Chalifa
Haftar, von Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten
und Russland. Zuletzt einigten sich die Konfliktparteien Ende Oktober
auf einen Waffenstillstand. Ob er hält, gilt aber als unsicher.

Im September hatte die Besetzung der deutschen Fregatte «Hamburg» bei
der Kontrolle eines aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kommenden
Tankschiffes unter das Waffenembargo fallendes Kerosin entdeckt.
Zudem wurden zuletzt EU-Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die
Schiffe, Flugzeuge oder andere Logistik für den Transport von
Kriegsmaterial bereitgestellt haben. Konkret geht es um drei Firmen
aus der Türkei, Jordanien und Kasachstan. Mit der Sanktionierung von
Unternehmen aus mehreren Ländern wollte die EU auch deutlich machen,
dass sie nicht wie von der Türkei behauptet nur Waffenlieferungen an
die libysche Regierung verhindern will, nicht aber an den
gegnerischen Milizenführer Haftar.

Für Deutschland, Frankreich und Italien ist eine Lösung des
Libyen-Konflikts auch wichtig, weil die chaotischen Zustände das
Geschäft von Schlepperbanden begünstigen, die Migranten illegal über

das Mittelmeer nach Europa bringen.

Aus dem Bundestag kam am Montag scharfe Kritik am Vorgehen der
Türkei. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann rief
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) auf, umgehend Stellung beziehen.
«Es ist ein Unding, dass die Türkei zum wiederholten Male versucht,
die Kontrolle ihrer Schiffe zu behindern», kritisierte die
verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. «Wenn
wir das zulassen, können wir die Mission beenden.»

Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen forderte, als Konsequenz der
Ereignisse müsse die Bundesregierung endlich die Waffenexporte an die
Türkei und alle anderen «Libyen-Brandstifter» stoppen.

Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die deutsche Rüstungsindustrie
seit 2004 Kriegsschiffe oder Teile dafür im Wert von 1,5 Milliarden
Euro in die Türkei exportiert hat.

Solche Rüstungslieferungen sind inzwischen wegen des Konflikts der
Nato-Partner Griechenland und Türkei um Erdgasvorkommen im östlichen
Mittelmeer höchst umstritten. Bisher unterbindet die Bundesregierung
nur den Export von Rüstungsgütern an die Türkei, die im Syrien-Krieg

eingesetzt werden können. Güter für den «maritimen Bereich» werde
n
aber weiter genehmigt und ausgeführt.

Die Regierung des EU-Partners Griechenland hat Deutschland vor
einigen Wochen aufgefordert, den Exportstopp auf Kriegsschiffe
auszuweiten. Das betrifft insbesondere den Bau von sechs U-Booten der
Klasse 214, die in der Türkei unter maßgeblicher Beteiligung des
Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems montiert werden.