Grenzkontrollen wegen Corona? Merkel schließt nichts aus Von Michel Winde und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

21.01.2021 18:34

Der Schreck aus dem Frühjahr 2020 sitzt noch tief: Einseitige
Kontrollen an den Grenzen in Europa sorgten zu Beginn der
Corona-Krise nicht nur für schlechte Stimmung, sondern auch für
Megastaus. Zum EU-Gipfel ist das Thema erneut auf dem Tisch.

Brüssel (dpa) - Im Kampf gegen die Corona-Pandemie versuchen die 27
EU-Staaten, das Tempo beim Impfen zu erhöhen und die gefürchteten
neuen Virusvarianten einzudämmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel warb
am Donnerstag vor einem EU-Videogipfel für einen «kooperativen
Ansatz». Doch schloss die CDU-Politikerin nicht aus, notfalls
Grenzkontrollen einzuführen, um hochansteckende Virusformen
fernzuhalten. Belgien plädierte für ein Verbot touristischer Reisen.

Bürger und Wirtschaft könnten also neue Hindernisse bei Reisen und
Transporten in Europa ins Haus stehen. Dabei hoffen einige
EU-Urlaubsländer wie Griechenland, Spanien oder Portugal auf mehr
Bewegungsfreiheit im Sommer: Sie sind für einen europäischen
Corona-Impfpass, der einfacheres Reisen ermöglichen könnte. Merkel
hält die Debatte über solche Vorteile für Geimpfte aber für verfr
üht.

Eigentlich herrscht im Schengenraum, dem 26 europäische Länder
angehören, Bewegungsfreiheit ohne stationäre Grenzkontrollen. Doch
etliche Länder hatten zu Beginn der Pandemie teils unkoordiniert
Grenzen dichtgemacht oder Kontrollen veranlasst. An der deutschen
Grenze zu Polen staute sich der Verkehr teils Dutzende Kilometer.
Verderbliche Waren kamen nicht ans Ziel, Grenzpendler hatten
Probleme, ihren Arbeitsplatz zu erreichen.

Die EU-Kommission will eine Wiederholung unbedingt vermeiden. Nur
kontrollieren einige Länder bereits wieder an ihren Grenzen, darunter
Ungarn, Österreich und Dänemark. Und jetzt lösen die in
Großbritannien und Südafrika entdeckten Mutanten des Coronavirus neue
Ängste aus, weil sie deutlich ansteckender als bisherige Varianten
sein könnten.

Dazu tauschten sich die EU-Staats- und Regierungschefs am
Donnerstagabend bei ihrer Videokonferenz erstmals aus. Das Ziel ist
klar: Die mutierten Viren gezielter aufspüren und die Verbreitung so
weit wie möglich bremsen. Merkel sagte, sie erwarte, dass man sich
auf gemeinsame Vorkehrungen bei Einreisen aus Großbritannien und
Südafrika verständigen werde. Deutschland hat für Reisende aus diesen

Ländern bereits eine Testpflicht eingeführt.

Grenzkontrollen oder -schließungen innerhalb der EU lehnte Luxemburgs
Außenminister Jean Asselborn strikt ab. Wenn Pendler zum Beispiel
nicht mehr nach Luxemburg kommen könnten, bräche dort das
Gesundheitswesen zusammen, warnte er im Deutschlandfunk.

Eben diese Pendler in Grenzregionen sind aus Merkels Sicht jedoch
entscheidend. Sie versicherte, dass der freie Warenverkehr nicht zur
Debatte stehe. Deutschland werde aber dazu beitragen, dass Pendler
getestet werden könnten. Dazu sei man auch mit den Herkunftsländern
im Gespräch. Sie könne nicht zusehen, wenn woanders weniger strikt
agiert werde und die Menschen zum Kaffeetrinken über die Grenzen
führen. Mit Blick auf die deutschen Nachbarländer habe sie aber
weniger Bedenken, fügte die Kanzlerin hinzu.

Die Wirtschaft ist gegen nationale Alleingänge und fürchtet, dass
wieder Waren an den Grenzen steckenbleiben - auch Medikamente oder
Schutzgüter, wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagte. Auch der
belgische Premier Alexander De Croo will keine neuen Hürden für
Lastwagen oder für Grenzpendler. Er brachte jedoch ins Spiel,
touristische und andere nicht notwendige Reisen zu verbieten.

Beim Impfen rumpelt es noch in vielen EU-Staaten. Weil die
Unternehmen Biontech und Pfizer kurzfristig weniger Impfstoff als
geplant liefern können, wurden in Deutschland zum Teil Impftermine
abgesagt. Mittelfristig drängt die EU-Kommission die 27 Staaten
dennoch zu ehrgeizigen Zielen. Bis zum Sommer sollen 70 Prozent der
Erwachsenen in der EU gegen das Virus immunisiert sein, bis März
bereits 80 Prozent der Menschen über 80 Jahre und des Pflege- und
Gesundheitspersonals.

Merkel äußerte sich zurückhaltend. Die Kanzlerin bekräftigte
lediglich, dass man allen in Deutschland bis zum Ende des Sommers -
also bis zum 21. September - ein Impfangebot machen wolle.

Die Kommission hält ihre Ziele jedoch für machbar, zumal bald neue
Impfstoffe auf den Markt kommen sollen. Ende nächster Woche könnte
der Hersteller Astrazeneca die EU-Zulassung bekommen, in den Wochen
danach womöglich die Mittel von Johnson&Johnson und Curevac. Zudem
soll die Produktion der zugelassenen Mittel aufgestockt werden. Ab
April soll ausreichend Impfstoff bereit stehen.