EU-Staaten erwägen neue Reiseauflagen wegen Corona Von Michel Winde und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

21.01.2021 20:48

Der Schreck aus dem Frühjahr 2020 sitzt noch tief: Einseitige
Kontrollen an den Grenzen in Europa sorgten zu Beginn der
Corona-Krise nicht nur für schlechte Stimmung, sondern auch für
Megastaus. Zum EU-Gipfel ist das Thema erneut auf dem Tisch.

Brüssel (dpa) - Im Kampf gegen die Corona-Pandemie versuchen die 27
EU-Staaten, das Impfen zu beschleunigen und die gefürchteten neuen
Virusvarianten einzudämmen. Bei einem Videogipfel am Donnerstagabend
prüften die Staats- und Regierungschefs nach Angaben eines
EU-Vertreters mögliche weitere Auflagen für nicht-notwendige Reisen.
Die Grenzen sollten aber möglichst offen bleiben, hieß es. Vorab
hatte Kanzlerin Angela Merkel Grenzkontrollen nicht ausgeschlossen,
um hochansteckende Virusformen fernzuhalten.

Bürger und Wirtschaft könnten also neue Hindernisse bei Reisen und
Transporten in Europa ins Haus stehen. Dabei hofften einige
EU-Urlaubsländer wie Griechenland, Spanien oder Portugal, schon jetzt
die Voraussetzungen für mehr Bewegungsfreiheit im Sommer zu schaffen:
Sie warben für einen europäischen Corona-Impfpass, der einfacheres
Reisen ermöglichen könnte. Beim Videogipfel zeichnete sich aber nach
Angaben des EU-Vertreters ab, dass der Impfpass zunächst nur ein
medizinisches Dokument sein solle und kein Reisedokument.

Eigentlich herrscht im Schengenraum, dem 26 europäische Länder
angehören, Bewegungsfreiheit ohne stationäre Grenzkontrollen. Doch
etliche Länder hatten zu Beginn der Pandemie teils unkoordiniert
Grenzen dichtgemacht oder Kontrollen veranlasst. An der deutschen
Grenze zu Polen staute sich der Verkehr teils Dutzende Kilometer.
Verderbliche Waren kamen nicht ans Ziel, Grenzpendler hatten
Probleme, ihren Arbeitsplatz zu erreichen.

Die EU-Kommission will eine Wiederholung unbedingt vermeiden. Doch
kontrollieren einige Länder bereits wieder an ihren Grenzen, darunter
Ungarn, Österreich und Dänemark. Und jetzt lösen die in
Großbritannien und Südafrika entdeckten Mutanten des Coronavirus neue
Ängste aus, weil sie ansteckender als bisherige Varianten sein
könnten.

Dazu tauschten sich die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrer
Videokonferenz erstmals aus. Das Ziel ist klar: Die mutierten Viren
gezielter aufspüren und die Verbreitung so weit wie möglich bremsen.
Merkel sagte, sie erwarte «besondere Vorkehrungen» bei Einreisen aus
Großbritannien und Südafrika. Deutschland hat für Reisende aus diesen

Ländern bereits eine Testpflicht eingeführt.

Grenzkontrollen oder -schließungen innerhalb der EU lehnte Luxemburgs
Außenminister Jean Asselborn strikt ab. Wenn Pendler zum Beispiel
nicht mehr nach Luxemburg kommen könnten, bräche dort das
Gesundheitswesen zusammen, warnte er im Deutschlandfunk.

Eben diese Pendler in Grenzregionen sind aus Merkels Sicht jedoch
entscheidend. Deutschland werde dazu beitragen, dass Pendler getestet
werden könnten, sagte die CDU-Politikerin bei einer Pressekonferenz
in Berlin. Dazu sei man auch mit den Herkunftsländern im Gespräch.
Der freie Warenverkehr stehe nicht zur Debatte. Und es gehe nicht um
flächendeckende Grenzkontrollen. «Ich sage Ihnen aber ganz offen:
Wenn ein Land mit einer vielleicht doppelt so hohen Inzidenz wie
Deutschland alle Geschäfte aufmacht, während sie bei uns noch
geschlossen sind, dann hat man natürlich ein Problem.»

Die Wirtschaft ist gegen nationale Alleingänge und fürchtet, dass
wieder Waren an den Grenzen steckenbleiben - auch Medikamente oder
Schutzgüter, wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagte. Auch der
belgische Premier Alexander De Croo will keine neuen Hürden für
Lastwagen oder für Grenzpendler. Er brachte jedoch ins Spiel,
touristische und andere nicht notwendige Reisen zu verbieten.

Beim Impfen rumpelt es noch in vielen EU-Staaten. Beim Videogipfel
habe es viele Fragen zur Transparenz und zu Lieferplänen für die
verschiedenen Impfstoffe gegeben, berichtete der EU-Vertreter. Weil
die Unternehmen Biontech und Pfizer kurzfristig weniger Impfstoff als
geplant liefern können, wurden in Deutschland zum Teil Impftermine
abgesagt.

Dennoch drängt die EU-Kommission die 27 Staaten zu ehrgeizigen
Zielen. Bis zum Sommer sollen 70 Prozent der Erwachsenen in der EU
gegen das Virus immunisiert sein, bis März bereits 80 Prozent der
Menschen über 80 Jahre und des Pflege- und Gesundheitspersonals.
Merkel äußerte sich zurückhaltend. Die Kanzlerin bekräftigte
lediglich, dass man allen in Deutschland bis zum Ende des Sommers -
also bis zum 21. September - ein Impfangebot machen wolle.