EU plant neue Corona-Reiseauflagen - In Deutschland schon umgesetzt Von Michel Winde, Michael Fischer und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

22.01.2021 14:13

Bleibt zuhause: Das Motto gilt wegen der Pandemielage nicht nur im
eigenen Land, sondern auch beim Reisen in Europa. Die EU-Staaten
wollen möglichst gleiche Regeln. Deutschland aber hat schon
vorgelegt.

Brüssel (dpa) - Wegen der Gefahr durch neue Varianten des Coronavirus
wollen die EU-Staaten vermeidbare Reisen weitestgehend ausbremsen,
die Grenzen für Waren und Pendler aber offen halten. Das vereinbarten
die Staat- und Regierungschefs bei einem Videogipfel. Zur Debatte
stehen nun neue Test- und Quarantänepflichten für Menschen aus
«dunkelroten Zonen» mit sehr hohen Corona-Fallzahlen. In Deutschland
entspricht die Rechtslage aber bereits im Wesentlichen den EU-Plänen.

EU-Ratspräsident Charles Michel verwies nach rund vierstündigen
Gesprächen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend auf
eine ernste Lage wegen der neuen, ansteckenderen Virusvarianten, die
zuerst in Großbritannien und Südafrika entdeckt worden waren. Man
kämpfe an zwei Fronten: Beschleunigung der Impfungen in Europa und
Eindämmung des Virus.

So wurde verabredet, viel häufiger gezielt nach den Virusmutationen
zu suchen. Das Mittel dazu sind sogenannte Genom-Sequenzierungen. Die
Grenzen in der EU sollten offen bleiben, um den Transport wichtiger
Güter und die Dienstleistungsfreiheit im EU-Binnenmarkt zu sichern,
sagte Michel. «Es sollte keine undifferenzierten Reisesperren geben.»
Doch seien womöglich weitere Reisebeschränkungen nötig.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will dazu eine Erweiterung
der bereits bestehenden Corona-Ampel-Karte vorschlagen. Demnach soll
für Regionen, in denen sich das Coronavirus sehr stark verbreitet,
eine neue «dunkelrote» Kategorie eingeführt werden. Auf der
bestehenden Karte werden Regionen auf Grundlage gemeinsamer Kriterien
je nach Infektionsgeschehen derzeit grün, orange oder rot markiert.

Von Personen, die künftig aus den dunkelroten Zonen innerhalb der EU
verreisen wollen, könnten vor der Abreise ein Test sowie nach der
Ankunft eine Quarantäne verlangt werden, sagte von der Leyen. Von
nicht notwendigen Reisen solle dringend abgeraten werden. Auch
Geimpfte können absehbar nicht mit Erleichterungen beim Reisen
rechnen. Zwar wollen die 27 Staaten an einem gemeinsamen Impfpass
arbeiten. Die Debatte über mögliche damit verbundene Vorteile wurde
jedoch vertagt.

In Deutschland gilt die erwogene EU-Regelung im Wesentlichen bereits
mit der Einreiseverordnung vom 14. Januar. Demnach gibt es drei
Kategorien:

- «Normale» Risikogebiete: Das sind Länder oder Regionen über einem

Grenzwert (auch Inzidenzwert genannt) von 50 Neuinfektionen auf 100
000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Das gilt derzeit für
fast ganz Europa mit Ausnahme einzelner Gebiete in Griechenland,
Finnland, Norwegen, Österreich und Dänemark.

- Hochinzidenzgebiete: Das sind Länder mit deutlich höheren
Infektionszahlen als in Deutschland. Sie sind noch nicht konkret
ausgewiesen worden, das soll aber sehr bald erfolgen. Wahrscheinlich
wird die Grenze bei einem Inzidenzwert von 200 gezogen. Deutschland
liegt bei 115.

- Virusvarianten-Gebiete: Das sind Gebiete, in denen hochansteckende
Varianten des Corona-Virus aufgetreten sind. Bisher sind
Großbritannien, Irland, Südafrika und Brasilien in dieser Kategorie.

Reisende aus «normalen» Risikogebieten müssen sich spätestens 48
Stunden nach Einreise in Deutschland auf Corona testen lassen. Zudem
müssen sie zehn Tage in Quarantäne, können sich davon allerdings
durch einen zweiten negativen Test ab Tag fünf vorzeitig befreien
lassen. Der Unterschied bei den Hochinzidenz- und
Virusvarianten-Gebieten: Der Test muss bereits höchstens 48 Stunden
vor Einreise erfolgen.

Frankreich will ab Sonntag bereits bei der Einreise einen PCR-Test
fordern, der nicht älter als 72 Stunden ist. Ausnahmen sind nach
Regierungsangaben für «wesentliche» Reisen vorgesehen - vor allem f
ür
Grenzgänger und den Warenverkehr.

Letztlich liegen die Bestimmungen und Vorgaben für Reisende immer in
der Hand der EU-Staaten. Der Zweck der jetzt geplanten gemeinsamen
Standards ist vor allem, unterschiedliche Handhabe in Grenzgebieten
zu vermeiden: bei ähnlicher Infektionslage sollen vergleichbare
Maßnahmen getroffen werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vor dem Gipfel Grenzkontrollen
nicht völlig ausgeschlossen und gesagt: «Wenn ein Land mit einer
vielleicht doppelt so hohen Inzidenz wie Deutschland alle Geschäfte
aufmacht, während sie bei uns noch geschlossen sind, dann hat man
natürlich ein Problem.» In Berlin und in Brüssel wird immer wieder
auf die Grenzregion zwischen Sachsen und Tschechien verwiesen, wo die
Coronazahlen wegen nicht immer synchroner Lockdown-Maßnahmen auf
beiden Seiten der Grenze im Wechsel hoch und runter gehen. Pendler
sollen dort künftig häufiger getestet werden.

Neben der Reisefrage war das Impfen Topthema des Treffens. Alle
EU-Staaten wollten eine Beschleunigung der Impfkampagne, sagte
Ratschef Michel. Die EU-Kommission erhielt nach seinen Worten
Rückendeckung für ehrgeizige Impfziele: Bis zum Sommer sollen 70
Prozent der Erwachsenen in der EU gegen das Virus immunisiert sein,
bis März 80 Prozent jener Menschen, die über 80 Jahre alt oder im
Pflege- und Gesundheitsdienst tätig sind. Merkel bekräftigte jedoch
lediglich, dass man allen in Deutschland bis zum Ende des Sommers -
also bis zum 21. September - ein Impfangebot machen wolle.