Lieber verbrennen? Hohe Brexit-Zölle belasten Warenhandel mit EU Von Benedikt von Imhoff und Erich Reimann, dpa

22.01.2021 14:28

Grenzenloses Online-Shopping - das war einmal. Der Brexit könnte auch
die Kaufgewohnheiten verändern. Ein Verband rechnet mit drastischen
Lösungen.

London (dpa) - Ein Schnäppchen glaubte Ellie Huddleston bei der Suche
nach Kleidungsstücken im Internet gemacht zu haben. Blusen für 80
Pfund, einen Mantel für 200 Pfund - doch der Brexit hat der
Londonerin einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn die neuen
Sachen hatte die 26-Jährige in der EU bestellt. Deshalb sollte sie
insgesamt 140 Pfund (157 Euro) zusätzlich für Zoll, Mehrwertsteuer
und andere Gebühren zahlen. Zu viel, entschied Huddleston und lehnte
die Lieferung ab, wie die BBC berichtete.

Wie der jungen Frau geht es derzeit einigen Shoppern - und auch
Unternehmen. Denn seitdem Großbritannien nicht mehr dem
EU-Binnenmarkt angehört, werden zusätzliche Zölle fällig und viel
Bürokratie. Das haben bereits schottische Fischer bemerkt, deren
Lieferungen tagelang im Stau standen, tonnenweise verrotteten Fische
und Meeresfrüchte. Nun erreichen die Brexit-Folgen auch den
Einzelhandel.

So liefern einige EU-Unternehmen bereits nicht mehr nach
Großbritannien, auch in die Gegenrichtung haben manche
Paketdienstleister und Modeketten ihre Lieferungen teilweise
eingestellt. Wie die BBC am Freitag berichtete, nehmen viele
britische Textilhändler Retouren aus der EU nicht mehr an. Mehrere
Unternehmen hätten Lager in Belgien, Irland und Deutschland
eingerichtet, wo die Retouren zunächst gesammelt würden.

«Für Einzelhändler ist es billiger, die Kosten abzuschreiben, als
sich zu kümmern», sagte der Chef des Branchenverbandes UK Fashion &
Textile Association, Adam Mansell, dem Sender. Es sei günstiger für
die Unternehmen, die Ware entweder aufzugeben «oder potenziell zu
verbrennen», als sie zurückzunehmen. Dem Bericht zufolge werden fast
ein Drittel aller online von EU-Kunden in Großbritannien gekauften
Waren zurückgeschickt. Beim Rückversand ins Vereinigte Königreich
müssen dann die britischen Unternehmen Zollformulare ausfüllen und
Einfuhrzölle begleichen.

«Das ist Teil des Kleingedruckten des Deals», sagte Mansell. Kunden
etwa in Deutschland, die Waren aus Großbritannien kaufen, gelten als
Importeure. «Dann klopft der Lieferdienst an ihre Tür und übergibt
ihnen eine Zollabrechnung, die sie bezahlen müssen, um ihre Waren zu
erhalten.» Zahlreiche EU-Kunden hätten deshalb Lieferungen aus
Großbritannien abgelehnt, berichtete die BBC am Freitag.

«Was den Import aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland
betrifft, so kann der Empfang von Sendungen, die Waren aus
Großbritannien enthalten, für Empfängerkunden hierzulande teurer
werden, wenn Freigrenzen überschritten werden und zum Beispiel
Einfuhrumsatzsteuer oder Verbrauchsteuern anfallen», teilte die
Deutsche Post DHL auf Anfrage mit. Die Lieferdienste müssen von den
Kunden die Gebühren bei der Zustellung erheben - im Fall von
Großbritannien gilt das für Sendungen mit einem Warenwert von mehr
als 22 Euro. Zahlen, wie viele Sendungen abgelehnt werden, lagen
weder DHL noch dem Wettbewerber DPD vor.

Für den britischen Einzelhandel ist es der nächste herbe Rückschlag.

Denn wegen der Corona-Pandemie gingen 2020 die Verkäufe trotz eines
starken Online-Anstiegs im Vergleich zum Vorjahr um 1,9 Prozent
zurück und damit so stark wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen
vor rund 25 Jahren. Neben Kaufhäusern und Tankstellen waren vor allem
Bekleidungsgeschäfte stark betroffen - mit einem Minus von rund einem
Viertel (25,1 Prozent), wie das Statistikamt am Freitag mitteilte.
«Da die Geschäfte auf absehbare Zeit immer noch geschlossen sind und
die Geschäfte Umsatzverluste in Milliardenhöhe kosten, kämpfen viele

Einzelhändler ums Überleben», sagte die Chefin des Handelsverbands
British Retail Consortium, Helen Dickinson.

Die britische Regierung sieht bisher keinen Grund zur Besorgnis. Der
BBC teilte sie mit: «Wir haben Unternehmen, die bisher nicht mit
Zollanmeldungen zu tun hatten, ermutigt, Spezialisten mit Einfuhr-
und Ausfuhrerklärungen zu betrauen.» Dafür seien 80 Millionen Pfund
an Hilfen bereitgestellt worden. Premierminister Boris Johnson hatte
zuletzt von «Kinderkrankheiten» im Handel infolge des Brexits
gesprochen.

Regierungsvertreter betonten, der Handel laufe problemlos. Täglich
würden zwar bis zu 200 Lastwagen am Ärmelkanal abgewiesen, teils
wegen fehlerhafter Unterlagen, teils weil die Fahrer keinen negativen
Corona-Test vorweisen können, der für die Einreise nach Frankreich
vorgeschrieben ist. Aber das seien deutlich weniger als befürchtet,
sagte kürzlich die Top-Beamtin Emma Churchill einem
Parlamentsausschuss.

Doch nicht nur die britischen Händler haben Probleme im Handel mit
Europa. Umgekehrt haben auch die deutschen Modehersteller und Händler
Schwierigkeiten mit der Belieferung von Kunden in Großbritannien. Der
westfälische Modehersteller Gerry Weber etwa hat seinen Online-Shop
in England vorübergehend geschlossen und den Versand nach
UK eingestellt, bis eine Lösung für die Brexit-Probleme gefunden sei.

Einige andere Anbieter hätten Zwischenlager in England eingerichtet,
berichtete der für den E-Commerce verantwortliche Gerry Weber-Manager
Aljoscha Kollmeyer. Doch rechtfertige der Umsatz von Gerry Weber in
UK einen solchen Aufwand nicht.

Der Versandhändler Otto berichtete, er habe in Vorbereitung auf den
Brexit und die vorhersehbaren Schwierigkeiten bereits wichtige
Warengruppen in UK bevorratet. Doch liefere das Unternehmen auch
weiterhin direkt Ware aus Deutschland auf die Insel und profitiere
dabei von dem Know-How des zur Otto-Gruppe gehörenden Versenders
Hermes. Durch die Verzollung der Ware entstünden dem Unternehmen aber
auf jeden Fall höhere Kosten.