EU erhöht wegen Impfstoff-Engpässen Druck auf Pharmakonzerne

24.01.2021 14:45

In der EU gibt es mehr und mehr Ärger wegen Verzögerungen bei der
Impfstofflieferung: Astrazeneca will im Fall einer Zulassung seines
Präparats zunächst weniger Dosen liefern als geplant. Kann die EU
etwas dagegen tun?

Brüssel (dpa) - Die EU warnt die Hersteller von Corona-Impfstoffen
angesichts von Lieferverzögerungen vor möglichen Konsequenzen. «Wir
erwarten, dass die von den Pharmaunternehmen bestätigten Verträge
eingehalten werden», sagte EU-Ratspräsident Charles Michel am Sonntag
dem französischen Sender Europe 1. Um die Einhaltung der Verträge zu
gewährleisten, könne die EU auch «juristische Mittel» nutzen.

Nach den Lieferproblemen bei Pfizer-Biontech hatte vergangene Woche
der britisch-schwedische Konzern Astrazeneca angekündigt, zunächst
weniger Dosen an die EU abzugeben als geplant. Die Zulassung dieses
Impfstoffs wird in Kürze erwartet.

«Wenn sich die Reduzierung der im ersten Quartal zu verteilenden
Dosen um 60 Prozent bestätigt, würde das bedeuten, dass in Italien
3,4 Millionen Dosen statt 8 Millionen geliefert würden», schrieb der
Jurist Conte. Gesundheitsminister Roberto Speranza habe mit
Astrazeneca gesprochen. Conte kündigte den Einsatz rechtlicher
Instrumente an, wie man es bei Pfizer-Biontech schon tue. Rom wolle
Druck machen zur Einhaltung der Verträge. «Diese Verlangsamungen der
Lieferungen stellen schwere Vertragsverletzungen dar, die in Italien
und anderen europäischen Ländern enorme Schäden verursachen», so
Conte.

Nach der Pharmaunternehmen-Kooperation aus Biontech und Pfizer hatte
am Freitag auch der Hersteller Astrazeneca angekündigt, zeitweise
weniger Impfstoff liefern zu können als ursprünglich geplant. Grund
sei eine geringere Produktion an einem Standort in der europäischen
Lieferkette, hieß es. Nach Angaben aus der EU-Kommission soll es nun
an diesem Montag ein weiteres Treffen des Lenkungsausschusses zur
EU-Impfstrategie zu den Verzögerungen geben.

Man verstehe, dass es Probleme geben könne, erklärte Michel am
Sonntag. Es brauche aber Klarheit über die Gründe. So habe Pfizer
anfangs Verzögerungen von Impfstofflieferungen von mehreren Wochen
angekündigt. Nachdem man mit der Faust auf den Tisch gehauen habe,
sei es dann aber nur noch um eine Woche gegangen.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hatte zuvor mitgeteilt,
es gebe in der Kommission und in Mitgliedstaaten große
Unzufriedenheit über von Astrazeneca angekündigte Lieferverzögerungen

im ersten Quartal. Man habe bei der Sitzung des Lenkungsausschusses
am Freitag darauf bestanden, dass es einen genauen Lieferplan gebe,
auf dessen Grundlage die Mitgliedstaaten ihre Impfprogramme planen
könnten. Die EU-Kommission werde weiter auf mehr Zuverlässigkeit bei
den Lieferungen dringen und auf eine beschleunigte Verteilung der
Dosen.

Ob Astrazeneca auch in Großbritannien im ersten Quartal weniger
Impfstoff ausliefern will als geplant, war zunächst nicht bekannt.
Das britisch-schwedische Unternehmen hat sein Präparat zusammen mit
der britischen Universität Oxford entwickelt. Er wird in
Großbritannien bereits genutzt. Für diese Woche wird auch eine
Zulassung in der Europäischen Union erwartet.

Die Brüsseler Behörde geht eigentlich davon aus, dass die
Mitgliedstaaten mit den von ihr eingekauften Impfstoffen bis Ende des
Sommers mindestens 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung impfen
können. EU-Ratspräsident Michel räumte am Sonntag nun ein, dass
dieses Ziel nur schwer zu realisieren sein dürfte.

Der EU-Kommission wird seit längerem vorgeworfen, sich nicht
rechtzeitig genug ausreichend Impfstoff gesichert zu haben. Die
Brüsseler Kommission argumentiert hingegen, dass zum Zeitpunkt der
Vertragsverhandlungen noch gar nicht klar gewesen sei, welche
Impfstoffe am Ende überhaupt zugelassen werden können. Deswegen sei
es richtig gewesen, auf unterschiedliche Anbieter und Konzepte zu
setzen.

Nach eigenen Angaben hat die Kommission bislang sechs Verträge über
2,3 Milliarden Dosen künftiger Impfstoffe genehmigt. So gibt es
beispielsweise mit Biontech/Pfizer Abmachungen über 600 Millionen
Dosen und mit Astrazeneca über bis zu 400 Millionen Dosen.

Bereits in einigen Monaten werde man in Europa mehr Impfstoffe haben
als man brauche, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
zuletzt. Allein mit den bereits zugelassenen Impfstoffen von
Biontech/Pfizer und Moderna werde man 380 Millionen EU-Bürger impfen
können. Dies seien 85 Prozent der EU-Bevölkerung.