Nawalny und die Proteste gegen Putin - EU diskutiert neue Sanktionen Von Ansgar Haase, Michael Fischer und Ulf Mauder, dpa

25.01.2021 17:04

Sollte die EU im Fall des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny
den Druck auf Russland erhöhen? Eine Option ist die Anwendung eines
neuen Sanktionsinstruments. Auch Kremlchef Putin äußert sich einmal
mehr zu seinem Gegner.

Brüssel/Moskau (dpa) - Russland drohen wegen des Vorgehens gegen den
Kremlkritiker Alexej Nawalny und dessen Anhänger neue Strafmaßnahmen
der EU. Bei einem Außenministertreffen in Brüssel zeigten sich am
Montag zahlreiche Teilnehmer schockiert über die Inhaftierung
Nawalnys und die Tausenden Festnahmen bei den auch gegen Kremlchef
Wladimir Putin gerichteten Demonstrationen in Russland am Wochenende.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte nach dem Treffen, der Rat
der Außenminister verurteile die Polizeigewalt als «vollkommen
inakzeptabel». Der Rat fordere Russland auf, Nawalny und alle
Festgenommenen freizulassen.

Mehrere Mitgliedstaaten forderten, in Reaktion auf die Ereignisse
erstmals ein neues Sanktionsinstrument anzuwenden, das im vergangenen
Jahr für den Fall von Menschenrechtsverstößen beschlossen worden war.

Bundesaußenminister Heiko Maas äußerte sich abwartend zu
Sanktionsforderungen - vor dem Hintergrund, dass ein russisches
Gericht erst noch entscheiden muss, ob eine Bewährungsstrafe Nawalnys
in einem früheren Verfahren in echte Haft umgewandelt wird.

Der Prozess ist für den 2. Februar angesetzt. «Es wird sehr viel
davon abhängen, wie dieses Gerichtsurteil ausfällt - ob Alexej
Nawalny nach 30 Tagen wieder freikommt oder eben nicht», sagte Maas
in Brüssel.

Nawalny soll gegen Meldeauflagen verstoßen haben, während er sich in
Deutschland von dem Mordanschlag erholte. Nach seiner Rückkehr am
Sonntag vor einer Woche kam der 44-Jährige in Haft - nach einem
umstrittenen Verfahren zunächst für 30 Tage. Allerdings drohen ihm
eine ganze Reihe neuer Strafverfahren samt Haftstrafen.

Maas forderte mit deutlichen Worten die Freilassung Nawalnys und der
festgenommenen Demonstranten. «Auch nach der russischen Verfassung
hat in Russland jeder das Recht, seine Meinung zu äußern und zu
demonstrieren», sagte der SPD-Politiker. Das Land habe sich zur
Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet. Deshalb
erwarte man, dass diejenigen, die friedlich protestiert hätten,
unverzüglich wieder freigelassen würden.

Dagegen verglich der russische Präsident die Organisatoren der
Proteste mit «Terroristen». Mit Blick auf die vielen Verletzten bei
den Demonstrationen und mehr als 3700 Festnahmen meinte Putin, dass
sich Bürger und Polizei an die Gesetze halten müssten. Er warf den
Organisatoren vor, Minderjährige zur Teilnahme an den Protesten
verleitet zu haben. «So handeln Terroristen, die Frauen und Kinder
vorschieben», sagte er.

Nawalnys Team rief prompt für den 31. Januar zu neuen landesweiten
Protesten auf - für die Freilassung des Kremlgegners und gegen Putin.
Schon seit Monaten werden in Russland wegen der Corona-Pandemie aber
keine Demonstrationen mehr erlaubt - Menschenrechtler beklagen
deshalb einen Missbrauch der Situation um das Corona-Virus, um den
Protest zu unterdrücken.

Forderungen gibt es auch immer wieder nach einem Stopp des
umstrittenen und besonders von den USA mit Sanktionen bekämpften
Gaspipeline-Projekts Nord Stream 2, um die Energiegroßmacht Russland
zu treffen. Die Bundesregierung hält aber trotz der Inhaftierung
Nawalnys an der Leitung zwischen Russland und Deutschland fest. «Ein
direkter Zusammenhang zwischen dem Fall Nawalny und Nord Stream 2
besteht nicht», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Die Haltung der Bundesregierung zu dem Projekt sei unverändert.

Seibert verurteilte im Namen der Bundesregierung das «ganz
unverhältnismäßig harte» Vorgehen der russischen Sicherheitskräft
e
bei den Demonstrationen. «Dieses Vorgehen der russischen
Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten ist leider ein
weiteres Beispiel für den äußerst problematischen Umgang mit
Andersdenkenden in der Russischen Föderation», sagte er.

Wegen des Giftanschlags auf Nawalny mit dem chemischen Kampfstoff
Nowitschok im August hat die EU bereits Sanktionen gegen ranghohe
Funktionäre in Russland verhängt. Nawalny sieht ein Killerkommando
des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Putins Befehl hinter dem
Attentat. Der FSB und Putin weisen die Vorwürfe zurück. In Brüssel
wird davon ausgegangen, dass staatliche Stellen in Russland hinter
dem Attentat stehen.

Für eine schnelle und deutliche Reaktion gegen Russland werben vor
allem östliche Mitgliedstaaten wie Polen und die baltischen Staaten
Estland, Litauen und Lettland. Eine Entscheidung über neue Sanktionen
wird aber frühestens im nächsten Monat erwartet.

Das neue Sanktionsinstrument der EU ermöglicht es, Vermögenswerte von
Akteuren einzufrieren, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen
begehen oder davon profitieren. Zudem können Einreiseverbote verhängt
werden. Das Instrument könnte gegen vermögende Unterstützer Putins
wirksam werden. Diese haben vielfach Luxusanwesen und wichtige
Geschäftskontakte in der EU und könnten hart getroffen werden.
Nawalny hat dazu eine ganze Liste mit Vorschlägen vorgelegt.

Ein wichtiger Auslöser der Proteste in Russland war auch ein neues
Video, in dem Nawalny Putin einen milliardenteuren Palast am
Schwarzen Meer zuschreibt. Der Kremlchef reagierte bei einem
Online-Gespräch mit Studenten erstmals selbst auf die Vorwürfe.
«Nichts von dem, was dort als mein Eigentum gezeigt wird, gehört mir
oder meinen engsten Verwandten - und gehörte auch nie. Niemals.»,
sagte Putin. Das Video kam bereits nach wenigen Tagen auf fast 87
Millionen Aufrufe bei Youtube. Zuvor hatte bereits Putins Sprecher
den Film als «Unsinn» bezeichnet.

Die Politologin Tatjana Stanowaja meinte, dass Putin mit seinem
Kommentar zu Nawalnys Film anerkenne, dass der «Volkszorn»
gerechtfertigt sei. Allerdings stelle sich die Frage, ob die Menschen
Putin glaubten. Ohne Antwort dazu, wem der Palast gehört, sei das
«lächerlich».

Das Grundstück mit dem Palast am Schwarzen Meer ist dem Film zufolge
fast 40 Mal so groß wie Monaco und soll bereits mehr als 100
Milliarden Rubel (1,1 Milliarden Euro) verschlungen haben. Nach
Darstellung Nawalnys sind die Besitzverhältnisse verschleiert worden.
Finanziert worden sein soll alles aus Schmiergeldern, die Oligarchen
und Putins enge Vertraute in den Staatskonzernen gezahlt hätten. In
dem Video werden erstmals Drohnenaufnahmen und Dokumente gezeigt.