) Grenzstreit und Impfpass: EU-Gipfel ringt um gemeinsame Corona-Linie

25.02.2021 17:30

Beim Impfen hinken die EU-Staaten Ländern wie Israel und den USA
hinterher. Auch der Streit um geschlossene Grenzen bereitet schlechte
Stimmung. Ein EU-Impfpass für freies Reisen könnte Licht am Ende des
Tunnels sein. Doch es gibt Bedenken - und Alleingänge drohen.

Brüssel (dpa) - Wenige Monate vor der Sommersaison ist noch kein
gemeinsamer EU-Impfpass mit Vorteilen für Corona-Geimpfte in Sicht.
Kanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen berieten beim EU-Gipfel am
Donnerstag über ein solches Zertifikat, doch gingen die Vorstellungen
noch weit auseinander. Merkel äußerte Bedenken, ihr österreichischer

Kollege Sebastian Kurz machte Druck.

Uneins sind sich die EU-Staaten auch über verschärfte Einreiseregeln,
wie sie Deutschland eingeführt hat. An einem Strang wollen alle 27
aber bei der Beschleunigung der Impfungen und beim Abbremsen
gefürchteter Virusvarianten ziehen. EU-Behörden ermitteln unterdessen
wegen dubioser Impfstoff-Angebote in Milliardenhöhe.

Ein digitaler grüner Pass für Geimpfte, Getestete und Genesene wäre
der richtige Schritt, ein großes Stück Normalität zurückzugewinnen,

sagte Kurz am Donnerstag. Man wolle nicht im «Dauerlockdown»
verharren. «Wir wollen, dass Menschen wieder Veranstaltungen,
Gastronomie, Kultur, Sport und vieles andere mehr genießen und
erleben können.» Vorbild für die Lösung sei Israel, wo Personen mit

Impf-Nachweis zum Beispiel wieder Fitness-Studios nutzen dürften.
Kurz' bulgarischer Kollege Boiko Borissow äußerte sich ähnlich. Man
habe den Vorschlag mit Österreich, Griechenland und anderen Staaten
abgestimmt.

Griechenland und Zypern haben schon jetzt Vereinbarungen mit Israel
über die künftige Einreise von Geimpften geschlossen. Manche
EU-Staaten wie Polen und Rumänien gewähren Geimpften bereits
Vorteile, etwa bei der Einreise.

Dabei ist die Absprache auf EU-Ebene noch lange nicht so weit.
Bislang haben sich die 27 EU-Staaten nur darauf geeinigt, dass es
einen gegenseitig anerkannten Impf-Nachweis geben soll. Angedacht
sind eine Datenbank zur Registrierung der Impfungen und ein
personalisierter QR-Code für Geimpfte. Deutschland, Frankreich und
andere haben jedoch Bedenken, Vorteile an das Dokument zu knüpfen -
unter anderem weil unklar ist, ob Geimpfte das Virus weitergeben.

«Solange die Zahl der Geimpften noch so viel kleiner ist als die
derjenigen, die auf die Impfung warten, sollte der Staat beide
Gruppen nicht unterschiedlich behandeln», sagte Merkel der
«Frankfurter Allgemeinen Zeitung».

Kurz dagegen brachte einen nationalen Alleingang ins Spiel, falls es
mit der EU-Lösung nichts wird: «Wenn es keine europäische Lösung
gibt, dann müssen wir dieses Projekt national umsetzen.»
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mahnte Fortschritt an.
Die EU-Staaten müssten einen gemeinsamen Ansatz finden, da der Sommer
näher komme. Zuletzt hatte sie die Debatte als verfrüht bezeichnet.

Rückenwind bekommen Kurz und die anderen Impfpass-Befürworter von der
Reisebranche: 14 europäische Verbände der Luftfahrt- und
Tourismusindustrie forderten am Donnerstag, dass Geimpfte von Tests,
Quarantänen und anderen Einschränkungen befreit werden sollten.
Hunderttausende Arbeitsplätze seien in Gefahr, sagte der Präsident
der Vereinigung Cockpit, Markus Wahl. «Wenn die EU künftig die
notwendigen Restriktionen umfassend koordiniert und damit so gering
wie möglich hält, können wir unsere Branche wiederbeleben.»

Derzeit gibt es beim Reisen in der EU allerdings viele Hürden.
Eigentlich hatten sich die EU-Staaten vor einigen Wochen auf
Empfehlungen für ein einheitliches Vorgehen an den Grenzen geeinigt.
Deutschland und andere gehen jedoch darüber hinaus. Bei der
EU-Kommission stößt das auf Kritik, weil Pendler und wichtige Waren
an den Grenzen aufgehalten werden und der Binnenmarkt leiden könnten.
Auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau äußerte sich
kritisch: «Es ist sehr ärgerlich und auch nicht solidarisch, dass
einige Staaten diese Absprachen einfach über Bord werfen.»

Topthema bei dem Gipfel war, mehr Tempo bei den Impfungen zu gewinnen
und den Impfstoffmangel zu beheben. Die Staats- und Regierungschefs
wollten über eine schnellere Zulassung der Mittel beraten, Produktion
und Lieferungen sollen gesteigert werden. Bis Ende Februar sollen
EU-weit 51,5 Millionen Impfstoffdosen ausgeliefert werden. Gut 29
Millionen Dosen wurden bislang in den 27 Staaten verabreicht, wie von
der Leyen den Staats- und Regierungschefs nach Angaben aus EU-Kreisen
sagte. Ziel ist, dass bis Ende Sommer 70 Prozent der Erwachsenen
geimpft sind.

Auch die fragwürdigen Impfstoff-Angebote sollten Thema sein. Nach
Erkenntnissen von EU-Ermittlern haben Regierungen in aller Welt
insgesamt 400 Millionen Dosen im Wert von drei Milliarden Euro
angeboten bekommen, die nicht direkt von den Herstellern kommen. «Wir
nennen das Geisterimpfstoffe, also irgendwelche mehr oder weniger
obskuren Angebote, die auch schon an viele Staats- und
Regierungschefs wohl gegangen sind», hieß es aus EU-Kreisen. Bei den
Angeboten wisse man nicht genau, ob es sich um echten Impfstoff
handele. Es könne auch «Salzwasser in kleinen Fläschchen» sein.

Für Freitag ist eine weitere Gipfel-Videokonferenz zu außen- und
sicherheitspolitischen Themen angesetzt.