Experte: Finanzstandort London nach Brexit nicht abschreiben

28.02.2021 05:00

Jüngst verdrängte Amsterdam London als größten Aktienmarkt Europas.

Schuld ist der Brexit. Der Anfang vom Ende der weltberühmten
Finanz-City?

London (dpa) - Trotz Unklarheiten im Brexit-Vertrag mit der EU warnt
ein Experte davor, den Finanzstandort Großbritannien abzuschreiben.
«London bleibt trotz des Brexits eines der wichtigsten globalen
Finanzzentren», sagte Frank Eich, ehemaliger Berater der britischen
Zentralbank, der Deutschen Presse-Agentur in London.

In der westlichen Hemisphäre biete nur New York wie London eine
«Breite und Tiefe an Fachwissen und Fähigkeiten», etwa
Versicherungen, Investmentbanking, Rechtsdienstleistungen,
Risikokapital oder Fintechs. Der britischen Hauptstadt fehle zwar der
große US-Markt. «Im Gegenzug ist London wohl vielfältiger - zum
Beispiel führend in der islamischen Finanzwelt - und international
fokussierter.»

Der zu Jahresbeginn abgeschlossene Brexit setzt die EU unter Druck,
bisher in London erbrachte spezialisierte Finanzdienstleistungen
verstärkt in der Gemeinschaft abzuwickeln. Wegen des Brexits haben
zahlreiche Institute Tausende Mitarbeiter aus London in EU-Städte wie
Frankfurt, Paris oder Dublin abgezogen. Bis März wollen sich London
und Brüssel über die gegenseitige Anerkennung von Standards -
Äquivalenz genannt - einig werden.

Mit dem Brexit haben britische Finanzdienstleister ihre
«Passport»-Rechte verloren, die es ihnen ermöglichten, ohne
zusätzliche regulatorische Genehmigung im EU-Binnenmarkt tätig zu
sein. Daher müssen britische Firmen entweder die regulatorischen
Anforderungen jedes einzelnen EU-Mitgliedsstaates erfüllen oder sich
darauf verlassen, dass die EU das britische Regelwerk insgesamt als
gleichwertig beurteilt.

Zuletzt war London von Amsterdam als größter Aktienmarkt Europas
verdrängt worden. «Da europäische Investoren ohne ein
Finanzdienstleistungsabkommen zwischen Großbritannien und der EU
nicht mehr in der Lage waren, Aktien an der Londoner Börse zu
handeln, mussten die Handelsaktivitäten in einen EU-Mitgliedstaat
verlagert werden», sagte Eich, der nun für die Unternehmensberatung
Economicsense arbeitet. Die Entwicklung sei unvermeidlich gewesen.
«Ein Finanzmarkt bietet jedoch mehr als nur den Aktienhandel auf
einer elektronischen Plattform.»

Der britische Notenbankchef Andrew Bailey warnte jüngst die EU, sie
werde einen hohen Preis zahlen müssen, wenn sie London abschneiden
wolle.