) «Diktator» Erdogan - Scharfe Töne zwischen Rom und Ankara

09.04.2021 13:37

Der diplomatische Eklat um die Sitzordnung beim Besuch der EU-Spitzen
in Ankara zieht weitere Kreise: Der italienische Ministerpräsident
nennt den türkischen Präsidenten einen Diktator - Ankara reagiert
prompt.

Rom (dpa) - Zwischen Italien und der Türkei ist es zu diplomatischen
Spannungen gekommen, nachdem der italienische Ministerpräsident Mario
Draghi den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan als «Diktator»

bezeichnet hat. Die Türkei bestellte aus Protest den italienischen
Botschafter ein, wie das Außenministerium am Donnerstagabend
mitteilte. Außenminister Mevlüt Cavusoglu schrieb auf Twitter, er
verurteile Draghis «hässliche und maßlose Äußerungen» aufs Sch
ärfste.
Ankara forderte, die Aussagen «sofort» zurückzunehmen.

Hintergrund der Äußerung war die Debatte um die Sitzordnung beim
Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und
EU-Ratspräsident Charles Michel bei Erdogan am Dienstag. Für Michel
war ein großer Stuhl neben dem türkischen Staatschef reserviert. Von
der Leyen bekam hingegen einen Platz auf einem Sofa in einiger
Entfernung zugewiesen.

Italiens Premier hatte sich am Donnerstagabend vor der Presse in Rom
zu dem Besuch geäußert. «Das war ein Verhalten, das mir sehr wegen
der Demütigung missfallen hat, die die Präsidentin der EU-Kommission
von der Leyen erleiden musste», sagte der frühere Chef der
Europäischen Zentralbank (EZB). Man müsse mit «diesen - nennen wir
sie, was sie sind - Diktatoren» eine klare Sprache sprechen und die
unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen zum Ausdruck
bringen. Man müsse aber auch bereit sein, mit ihnen im Interesse des
Landes zu kooperieren. Es brauche das richtige Gleichgewicht, sagte
Draghi.

Unterstützung bekam Draghi von CSU-Vize Manfred Weber, der auch die
christdemokratische Fraktion im EU-Parlament führt. «Premierminister
Draghi hat Recht, unter der Führung von Präsident Erdogan hat sich
die Türkei in den vergangenen zehn Jahren von Rechtsstaat, Demokratie
und Grundrechten entfernt», sagte Weber am Freitag. Die Türkei sei
nicht für alle Bürger ein freies Land. Falls Europa mit solchen
Ländern eine konstruktive Partnerschaft wolle, müsse man die Fakten
vor Ort klar und ehrlich benennen. Deshalb fordere man auch seit
Jahren ein Ende der Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei.

Die EU-Kommission wollte sich Draghis Bewertung hingegen nicht
anschließen. «Es ist nicht Sache der EU, ein System oder eine Person

zu kategorisieren», sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep
Borrell am Freitag. Er verwies darauf, dass die Türkei ein gewähltes

Parlament und einen gewählten Präsidenten habe. Das Bild sei komplex.
Es gebe Zusammenarbeit mit der Türkei, aber auch viele Bedenken. Die
Sorgen beträfen etwa die Situation der Grundrechte, der
Meinungsfreiheit und den Zustand der Justiz.

Die Wahl des Wortes Diktator sorgte sofort danach in italienischen
Medien für Schlagzeilen. Auch aus der Türkei gab es prompt scharfe
Reaktionen. Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun etwa
twitterte: «Der ernannte Premierminister Italiens hat sein Maß
überschritten, indem er Herrn Recep Tayyip Erdogan, den das türkische
Volk mit 52 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt hat, als
«Diktator» bezeichnet hat.» Man verurteile diese Art, die in der
Diplomatie keinen Platz habe, aufs Schärfste. «Wenn Mario Draghi
einen Diktator sucht, soll er auf die Geschichte Italiens schauen.»

Draghi war Mitte Februar mit einem Bündnis aus vielen Parteien ins
Amt gekommen, nachdem die Vorgängerkoalition in Rom zerbrochen war.
Er wurde vom Staatspräsidenten vorgeschlagen und nach
Sondierungsgesprächen mit den Parteien ernannt. Er erhielt eine sehr
große Mehrheit im Parlament. Am Freitag gab es zustimmende
Einschätzungen aus der Politik zu seiner Äußerung.

In der Diskussion um den Sofa-Platz für Ursula von der Leyen beim
EU-Türkei-Treffen in Ankara hatte sich die Türkei bereits am
Donnerstag gegen Vorwürfe aus Brüssel verteidigt. Es habe «ungerechte

Anschuldigungen gegenüber der Türkei gegeben», sagte Außenminister

Cavusoglu. «Es wurde entsprechend der Anregungen der EU-Seite so eine
Sitzordnung aufgestellt.»